Veröffentlicht: 25.10.2023. Rubrik: Aktionen
Alles hat seine Zeit (Oktober-Aktion)
„Alles hat seine Zeit,“ dachte Helga.
Voller Wehmut erinnerte sie sich an früher, als ihre Kinder noch klein waren. Sie hatte damals in ihrem Schrebergarten ein „Kinderbeet“, wie sie es nannte, angelegt. Dort zeigte sie ihren Töchtern Hannah und Charlotte, damals 4 und 6 Jahre alt, wie man säte und pflanzte, die Pflanzen bis zur Ernte richtig pflegte, dann erntete und aus dem selbst gezogenen Gemüse etwas Leckeres kochte.
Klar war, dass sie damit allein viel schneller fertig geworden wäre, aber sie wollte den beiden Kindern zeigen, dass Gemüse nicht im Supermarkt wächst.
In einer Gärtnerei kauften sie junge Pflanzen, Saatkartoffeln und verschiedene Samen, all das, was sie später ernten wollten. Helga hatte einen „grünen Daumen“; ihr Wissen gab sie gern an die Kinder weiter.
Die beiden Mädchen warteten ungeduldig darauf, dass die Samen zu sprießen begannen. In der Kräuterecke ging das meist sehr schnell, so dass weder Petersilie noch Dill oder andere Küchenkräuter gekauft werden mussten. Die Kinder jubelten jedes Mal vor Freude, wenn sie Fortschritte sahen, sei es, dass plötzlich winziges Grün aus der Erde ragte oder eine Tomate an der Pflanze hing.
Aber sie mussten auch Rückschläge hinnehmen; nicht alles, was sie säten und pflanzten, gedieh so, wie sie es erhofften.
Umso mehr schätzten sie ihre Ernte: Kopfsalat, Radieschen, Möhren, Rhabarber, Stangenbohnen, Zucchini und Kürbisse. Letztere waren besonders interessant, weil man sie nicht nur essen, sondern auch eine tolle Dekoration für Halloween daraus basteln konnte.
Helgas Töchter aßen das selbst gezogene Gemüse sehr gern. Sie halfen eifrig sowohl bei der Ernte als auch bei der Verarbeitung. „Lass mich das machen!“, quengelten sie ständig und Helga ließ sie machen, auch wenn es länger dauerte und sie manchmal fürchtete, dass sie sich trotz eines stumpfen Kindermessers verletzen könnten.
Helga hörte öfters von anderen Eltern, dass deren Kinder am liebsten Nudeln mit Tomatenketchup aßen. Hannah und Charlotte liebten ihr Gemüse und ihre Kräuter aus dem eigenen Garten. Darüber war Helga sehr glücklich, denn das Problem, dass Gemüse abgelehnt wurde, hatte sie glücklicherweise nicht.
Je älter die Mädchen wurden, desto besser konnten sie mit den verschiedenen Küchenwerkzeugen umgehen.
Als Charlotte mit 10 Jahren auf’s Gymnasium wechselten, meldete sie sich freiwillig für eine Koch-AG an, die dort angeboten wurde. Die anderen Kinder staunten, wie fix sie das Gemüse schneiden konnte. Auch die Leiterin der Koch-AG war beeindruckt, so dass Charlotte viel Lob für ihre Fingerfertigkeit erntete.
Zwei Jahre später folgte ihr Hannah nach, deren Geschicklichkeit nicht mehr so viel Aufmerksamkeit erregte, weil man diese von der älteren Schwester schon gewohnt war.
Kaum zu glauben, wie schnell die beiden erwachsen wurden und ihre eigenen Wege gingen. Charlotte lebt heute in Bournemouth/Großbritannien und Hannah in Süddeutschland, etwa 500 km entfernt. Beide sind verheiratet, haben einen anstrengenden Beruf und jeweils zwei Kinder. Und sicherlich nicht die Zeit und Muße, nach Feierabend so aufwändige Experimente wie Helga damals mit ihren Kindern zu machen.
„Schade, dass meine Enkel so weit entfernt wohnen“, dachte Helga, „ich würde so gern mit ihnen gärtnern und kochen - wie früher mit meinen Töchtern.“
Doch dafür sah sie sie viel zu selten.
Seit sie alleine wohnte, hatte sie sowohl den Schrebergarten als auch die Gemüse-Selbstversorgung aufgegeben. Sie kaufte es jetzt auf dem Wochenmarkt oder auch im Discounter. Für sich allein brauchte sie nicht viel.
„Alles hat seine Zeit,“ dachte Helga.