Veröffentlicht: 01.10.2023. Rubrik: Lustiges
Lückenbüßer
Es fühlt sich nicht gut an. Ich verschweige meine ausgeübte Berufstätigkeit. Weil es peinlich klingt. Muss ich nur selten nennen. Zum Glück. Bei Visaanträgen. Bei Hotelanmeldungen. Bei Nachbarn und Bekannten nie. Da weiche ich aus. Dabei gehe ich keiner unanständigen Arbeit nach. Im Gegenteil. Ich bin Dienstleister. Und zwar ein spezieller. Meine Berufsbezeichnung ist 'Stopgap'. Klingt auf Englisch unverfänglich. Viel interessanter als der deutsche Begriff: 'Lückenbüßer'. Der ist außerdem zu negativ besetzt. Bringt keine Anerkennung. Ist auch kein gelisteter Lehrberuf. Als Fort- oder Weiterbildungsberuf ebenso unbekannt. Und doch kann ich davon leben. Sehr gut sogar. Inzwischen.
Am Anfang stand eine Beerdigung. Ich war zufällig zugegen. Wirkte offenbar seriös. Ich wurde als Ergänzung dazu gebeten. Anlässlich einer Trauerfeier. Mein Typ passte gut in diese Gesellschaft. Zur Vervollständigung an einem Vierer-Tisch. Bei der Gedenkmahlzeit. Eine Lücke war zu füllen. Dort kamen meine Stärken zum Tragen. Ich kann gut zuhören. Passende Kurzkommentare abgeben. Gezielt und relevant. Das kam gut an. Ich hatte Erfolg. Und das mit Folgen. Unvorhergesehen.
Meine Fähigkeiten sprachen sich herum. Ich wurde weiterempfohlen. Für verschiedene Anlässe. Immer auf Zuruf. Häufig als Begleiter. Für Alleinstehende auf Reisen. Anfragen mit erotischem Hintergrund lehne ich ab. Gerne bei Theaterbesuchen. Meine Spezialität: Platzhalter in Menschenschlangen. Oft in Zahnarztpraxen. Oder an Konzertkassen. Gern bin ich dritter Mann beim Skat. Das kann ich gut. Honorar stundenweise. Getränke frei.
Dann der Aufstieg. Eine Buchung für Filmaufnahmen. Eine Rolle war zu besetzen. Extrem kurzfristig. Als Komparse. Tragende Rolle. Jedoch ohne Text. Änderung des Drehbuchs nicht mehr möglich. So kurz vor Drehende. Ich wurde gekonnt kostümiert. Perfekt hingeschminkt. Ein sehr präsenter Auftritt. Als Statist. So hieß es später. Viel Lob aus Fachkreisen. Ich wurde weiterempfohlen. Bei Film und Fernsehen. War bald sehr häufig zu sehen. Als sehr geschätzter Komparse. Kein Lückenbüßer mehr. Stumme Prominenz. So lautete die Beurteilung. Auch beim Publikum war ich äußerst beliebt.
Und dann wurde es mir zu viel. Der ewig Schweigende zu sein. Tagelang. Wechselnde Drehorte. Viele Reisen. Und irgendwann Anfragen für Homestories. Allein schon! Auch für Interviews. Ich nahm keine Angebote mehr an. Ich stieg aus.
Heute bin ich wieder als Lückenbüßer tätig. Ausschließlich. Das bringt mir Freude. Und ist einträglich. Dabei sehr abwechslungsreich. Nur selten kommen noch Fragen zur Filmtätigkeit. Meist von Nachbarn. Oder auch von entfernten Bekannten. Die mochten mich in meinen Auftritten. In zahlreichen Filmrollen. Ich rede mich dann heraus. Verweise auf meine eigentliche Tätigkeit. Stopgap. Klingt mir wieder so vertraut. Übersetzen müssen die es selber. Das Wort Lückenbüßer kommt mir nicht über die Lippen. Immer noch nicht.