Veröffentlicht: 25.08.2023. Rubrik: Total Verrücktes
Schreibzwang
Mein Leben fühlt sich wieder gut an. Die schwere Krise ist überstanden. Dauerte lange. Fast zu lange.
Ich bin unvorhersehbar in sie hineingeraten. Denke ich. Aber selbstverschuldet. Glaube ich inzwischen. Am Anfang stand eine großartige Idee. Meinte ich. Der Plan: Ich wollte sämtliche souveränen Staaten der Erde bereisen. Mindestaufenthalt ein Tag. Jeweils nachzuweisen per Sichtvermerk im Reisepass. Meine Frau hielt mich für irre. Sie würde allerdings von meinem Vorhaben profitieren. Als Reisebegleitung. Selektiv in Länder ihrer Wahl. Der Rest bliebe mir alleine. Und der war mächtig. Allein schon logistisch. Ich benötigte viele Jahre. Unterbrochen von einigen längeren Pausen.
Irgendwann nahte das Ende der Aktion. Nur noch wenige sogenannte 'Schurkenstaaten' auf der Agenda. Nord-Korea und Saudi-Arabien. Als Sahnehäubchen dazu: Somalia. Extrem gefährlich. Vor allem die Hauptstadt Mogadischu. Vorher wurde es noch einmal kompliziert. Das Sowjetreich war zerfallen. Dies veränderte die Weltkarte. Etliche neue Staatsgebilde poppten auf. Dazu mehrere neue Staaten aus dem früheren Jugoslawien. Trotz alledem. Ich tourte weiter.
Zwischendurch ergab sich eine neue Hürde. Abspaltung des Süd-Sudans. Liegt für mich verkehrsgünstig auf dem Weg nach Somalia. Meine letzte Station. Die wurde fast zur endgültigen. Durch Geiselnahme. Dort wurde ich In Isolation gefangen gehalten. Wochenlang. Dann befreit. In einer dramatischen Aktion.
Die prekäre Folge: ein seelischer Defekt. Posttraumatisches Belastungssyndrom mit Schlaflosigkeit als Leitsymptom. Therapieresistent. So die Meinung der Ärzte. Trotz Psychopharmaka. Später gab es geringfügige Verbesserung durch fernöstliche Meditationstechniken. Yoga. Tai-Chi. Reiki. Dazu therapeutisches Schreiben. Das Ziel: Tiefenentspannung. Lyrik. Prosa. Kurz oder lang. Ich bediente alle Formate. Erst zögerlich. Später dann ungehemmt. Irgendwann kam der Schlaf zurück. Leider nie länger als drei Stunden. Und das auch nur fraktioniert. Aber immerhin. Davon wollte ich mehr. Ich schrieb mich in einen Rausch. Dieser hatte einen fatalen Schreibzwang zur Folge. So wurde ich auch körperlich zum Wrack. Dann folgte der Zusammenbruch. Empfehlung für einen letzten Therapieversuch: viel schreiben! Jedoch ausschließlich per Hand. Keine moderne Technik. Kein Computer. Manuskript statt Typoskript. Und es funktionierte. So schrieb ich Seite um Seite. Täglich. Aber wohl dosiert. Regelmäßig mit Pausen. Die Störungen vergingen. Endlich der Erfolg: Ich schlief irgendwann wieder völlig unbelastet.
Zur Zeit schreibe ich das letzte Kapitel eines Romans. Geplanter Umfang: zirka sechshundert Seiten. Alles handgeschrieben. Von Schreibzwang keine Spur mehr. Im Gegenteil. Mintunter fehlen mir die Worte.