Veröffentlicht: 01.08.2023. Rubrik: Nachdenkliches
Sonia
Der rote Bus fährt täglich. Einmal am Nachmittag. Von hier aus zwei Stunden. In die große Stadt. Sonia fährt nicht. Wieder nicht. Sie bleibt an der Haltestelle. Im Häuschen. Genau wie im Dorf. Seit elf Jahren. Dort lebt ihre Familie. Einheimischer Ehemann. Mit zwei Kindern. Sonia sieht ähnlich aus wie alle im Dorf. Äußerlich. Doch ihre Sprache ist anders. Kein Bayerisch. Das kann sie nicht. Mag es nicht. Die Kinder hänseln sie deswegen. Viele Erwachsene auch. Man hat sich an sie gewöhnt. Allmählich. Sonia mag dieses Leben nicht. Trotzdem. Sie bleibt.
Die Busstation als Rückzugsort. Hierher kommt sie fast täglich. Seit Jahren schon. Steigt nie ein. Der Bus lässt sie träumen. Von Früher. Bevor sie hier ankommt. An dieser Station. Ein Neuanfang. Ein Leben in Bayern. Auf dem Lande. Weiter fährt sie nicht. Der nächste Halt ist in Österreich. Da will sie nicht hin. Dies hier ist fremd genug. Oft denkt sie an Früher. An das Gute. Das erlebt sie zu selten.
Das Andere zu häufig. Gewalt. Schmerz. Flucht. Im Lauf der Zeit vernarbt. Kommt nur noch sporadisch hoch. Die Bilder verblassen. Hier in Bayern. Und doch ist da was. Sie wird es nicht los. Jetzt im mittleren Alter. Ängste steigen auf. Sie spürt keine Wurzeln. Hier nicht. Und was kommt danach?
Dann doch die Abfahrt. Der rote Bus. In die große Stadt. Von dort aus weiter. Viele Stunden. Die Kinder sind bei ihr. Sie verstehen es nicht. Sonia will zurück. In ein früheres Leben. Ein Leben ohne hohe Berge. Ohne fremde Sprache. Sie hofft, ohne Gewalt. Ohne Schmerz. Dort ist sie nicht fremd. Wie wird es den Kindern ergehen?