Veröffentlicht: 14.09.2023. Rubrik: Unsortiert
Jakubsweg
Es sollte ein anstrengender Marsch werden. Quer durch Mitteleuropa: zu Fuß von Katowice in Polen nach Bottrop im ehemaligen deutschen Kohlerevier. Mit leichtem Marschgepäck. Zweckmäßig beschuht.
Für knapp eintausend Kilometer hatte Jakub Nowak den Zeitraum von einem Monat veranschlagt. Plus/Minus. Er startete zu Beginn seines Sabaticals. Nicht unter Zeitdruck.
Den Antrieb für diese Reise hatte er durch seine kürzlich verstorbene Großmutter Irina erhalten. Von dieser nahm er eine Ansichtskarte mit auf den Weg. Quasi als Reliquie. Sepiafarben. Vergilbt. Aus Bottrop im Ruhrgebiet. Der Absender auf der Rückseite nur noch schwer zu entziffern. Anschrift gerade noch lesbar. Dorthin hatte es den Lieblingsonkel seiner Oma verschlagen. Gemeinsam mit einem Heer arbeitsloser Bergleute. Anfang des letzten Jahrhunderts. Aus schwerer wirtschaftlicher Not. Nur zu Fuß mussten diese Menschen den Weg nicht zurücklegen. Bahnfahrt 3. Klasse. Holzklasse. Immerhin. Jakub wollte den Weg fühlen. Das Land, das er durchquerte, spüren.
Und es wurde ein Erlebnis der speziellen Art. Landschaftlich abwechslungsreich. Nicht zu dicht an großen Städten. Eher die Wege abseits. Fern der großen Verkehrswege. Gute Kenntnisse der deutschen Sprache halfen Jakub. Bei Begegnungen unterwegs. Überwiegend auf sich allein gestellt. Ein Leben der inneren Einkehr beseelte ihn. Er genoss den Zustand der Kontemplation. Anfängliche Zweifel an seinem Tun verflogen rasch. Bald wurde der Weg das Ziel.
Und das hatte er dann vor Augen. Westlich von Gelsenkirchen zum letzten Mal Überquerung eines Wasserwegs. Ein breiter Schifffahrtskanal. Dann nur noch wenige Kilometer bis Bottrop. Die Anspannung stieg. So nah am Endziel: Bergbaustraße 17 in Bottrop. Das gab es dort noch. Modernisiert. Offensichtlich gut bewohnbar.
Er klingelt an der Haustür. Banges Warten. Nur kurz. Dann öffnet eine ältere Frau. Staunt über sein Anliegen. Ja, Familie Nowak gibt es hier. Sie lacht. Dann eine kreisende Bewegung mit ausgestrecktem Arm. Wie viele Nowaks er denn möchte? Dieser Name sei hier verbreitet wie Schulze in Berlin. Nun lachen beide. Der Hinweis auf das Stadtarchiv. Für weitere Informationen. Und auf das Museum für das Ruhrgebiet in Essen. Sehr empfehlenswert. Jakub bleibt zehn Tage im Revier. Für seine Recherchen. Die Erfüllung gefunden: sein persönlicher Jakubsweg.
Zwei Jahre später ist aus dieser Idee eine feste Einrichtung geworden. Er gründet zusammen mit seinem Bruder das Touristikunternehmen JAKUBOS in seiner Heimatstadt Kattowice. Dies ist der Beginn eines Pilgertourismus' der anderen Art.