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6xhab ich gern gelesen
geschrieben von Federteufel.
Veröffentlicht: 11.11.2022. Rubrik: Total Verrücktes


Mein Onkel Heribert

Hab ich euch schon von meinem Onkel Heribert erzählt? Nein? Dann setzt euch und hört zu.
Heribert war eine eigenartige Erscheinung: Groß, schlank bis hart an die Grenze zur Dürrnis, mit großen, leicht hervorquellenden Froschaugen ... Mit denen er einen anstarren konnte, sodass einem grauste. Dabei war er kein übler Kerl, einigermaßen gebildet und fleißig, fleißig; schließlich hatte er es trotz einfacher Schulabschlüsse bis zum Betriebsratsvorsitzenden einer nicht unbedeutenden hamburger Firma gebracht.
Eines Abends im März schnurrte – ich saß gerade auf der Terrasse und betrachtete in Gedanken versunken den Großen Bären – mein Handy. Martha, seine Frau. Ob ich mal vorbeikommen könne, Heribert sei anscheinend wahnsinnig geworden und das Wohnzimmer voller Fliegen. Was denn los sei, fragte ich. „Komm bitte, wenn du kannst“, schluchzte sie, „vielleicht hört er ja auf dich. Ich bin am Ende meiner Kräfte.“
Schön, ich ging also hin. War ja nicht weit. Heribert saß in Sommerhemd und kurzen Hosen im ungeheizten Wohnzimmer, vor sich ein halbes Baguette, eine Flasche Rotwein sowie eine Schüssel mit Oliven. Als ich eintrat, stob eine ziemliche Anzahl schwarzer Fliegen auf, taumelte wie schlaftrunken eine Weile durch das Zimmer und fiel dann ermattet nieder.
„Gut dass du mal vorbeikommst“, sagte er und bot mir die knochige Hand, „Martha begreift das nicht.“
„Wo ist sie denn?“
„Bei ihrer Mutter.“
„Und die Kinder?“
„Auch.“
Ich setzte mich. „Also, was ist los? Was begreift Martha nicht? Und woher kommen diese vielen Fliegen?“
„Winterfliegen! Müssten schon längst das Zeitliche gesegnet haben, die Viecher! Haben sie aber nicht! Hab mich mal schlau gemacht. So eine Fliege lebt normalerweise zwei, drei Wochen. Dann hat sie eine Unzahl Nachkommen hervorgebracht, und das Spiel beginnt von Neuem. Wieso diese den Winter überlebt haben, ist nicht nur mir unklar. Eine stichhaltige Erklärung findest du nirgendwo. Alles nur Vermutungen. Irgendwelche Gene und so.“ Er nahm eine Olive und kaute genüsslich. „Möchtest du auch eine? Greif ruhig zu! Im Keller lagert ein ganzer Zentner davon. Hab sie billig auf dem Fischmarkt erstanden.“ Er spuckte den abgelutschten Olivenkern in eine Schüssel auf dem Boden. „Aber ich weiß es jetzt.“ Seine Hand klatschte auf den Tisch, zurück blieb eine platter Fleck. Er nahm den Fleck mit zwei Fingern auf und hielt ihn mir hin. „Schau dir mal den Hinterleib an. Was siehst du da?“
„Nichts.“
Heribert lachte unbeschwert. „Eben, nichts! Normalerweise ist dieses Körperteil prallvoll mit Fortpflanzungsgekröse und winzigen Eierchen. Aber auch diese –“ Er fing eine Fliege im Flug und hielt sie gegen das Licht. „Siehst du: Leer wie ein ausgeblasenes Hühnerei.“ Er zerquetschte die Fliege mit zwei Fingern und warf sie zu den Olivenkernen.
„Worauf willst du hinaus?“, fragte ich.
„Na kannst du dir das nicht denken? Sexuelle Enthaltsamkeit! D a s ist e i n Weg zu langem Leben. Deshalb haben die Biester den Winter überlebt. Das ist auch der Grund, warum ich Martha des Ehebettes verwiesen habe.“ Er hüstelte krankhaft. „Hab keine Lust, mit fünfundsechzig den Arsch zuzukneifen und der Firma meine Betriebsrente zu schenken.“ Die nächste Olive und ein Glas Rotwein verschwanden von der Bildfläche.
Ich hatte eine Komödie aus Ballen und Blödsinn vermutet, doch jetzt wurde es ernst. Der gute Onkel war wohl tatsächlich durchgeknallt.
Schon redete er weiter. „Der zweite Weg ist Kälte. Ich habe hier –“ Er beugte sich vor und ergriff einen Papierstapel – „Statistiken, aus denen eindeutig hervorgeht, dass Menschen kälterer Regionen deutlich länger leben als welche südlicher Breiten.“ Er hielt mir das Papier hin, doch ich wies es zurück. „Ich habe deshalb die Heizung auf vierzehn Grad eingestellt.“
„Und der dritte Weg?“, fragte ich fröstelnd.
„Vegane Ernährung!“, flötete er prompt. „Und vor allem: Weniger! Weniger essen! Wie diese Fliegen, die schon mehrere Monate kaum noch Nahrung zu sich genommen haben. Versuche mit Ratten haben gezeigt, dass die Gruppe, die ständig unter leichtem Hunger gehalten wird, die längste Lebenserwartung aufweist. Ich habe mich deshalb entschlossen, mich wie die Mönche auf dem heiligen Berg Athos nur noch von Weißbrot, rotem Wein und schwarzen Oliven zu ernähren. Auf diese Weise werde ich wohl nicht unsterblich, aber immerhin doch erheblich älter, als ich es bei Marthas fettlastigen Kochkünsten zu erwarten hätte.“
Es war hoffnungslos. Ich verabschiedete mich und trottete nachdenklich der heimatlichen Hütte zu. „Gottseidank“, murmelte ich, „Martha und die Kinder sind wenigstens vorerst in Sicherheit.“ –
Wie es weitergeht, möchtet ihr wissen?
Tja, das ist wieder so ein Ding, das so recht zu diesem Mann passt, obwohl man´s natürlich niemandem wirklich gönnt, schon gar nicht einem nahen Verwandten. Vor einem halben Jahr diagnostizierten die Ärzte bei ihm einen Hirntumor. Heribert ging in den Wald und hängte sich auf. Punkt.
Wie sagte doch einst ein weiser Mann: Das ist das Leben! Du planst und planst, und dann kommt es doch anders.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 11.11.2022:

Eine gute Geschichte. Dem Onkel hätte man bei all seinen neu entdeckten Weisheiten ein längeres Leben gegönnt, er war doch schon auf dem richtigen Weg. Habe ich gerne gelesen, vor allem den Schluss...




geschrieben von Gari Helwer am 12.11.2022:

Arme Martha! Ich finde in dem Zusammenhang auch folgenden Spruch passend: Willst du Gott zum Lachen bringen, dann mach Pläne! - Welch tragisches Ende für Heribert... LG




geschrieben von Christelle am 14.11.2022:

Völlig umsonst gelitten und gefroren für ein längeres Leben. Anstatt dem Leben mehr Tage geben zu wollen, sollte man den Tagen mehr Leben geben.

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