geschrieben von As'a hel.
Veröffentlicht: 28.03.2022. Rubrik: Unsortiert
Der Berg
Da ist ein großer Berg und darunter ist ein herrliches Tal, das voller Leben ist. Dort sind viele Tiere, Pflanzen und wunderbare Dinge. Das Tal gehört vielen Kindern, Jungen und Mädchen, die den ganzen Tag spielen und malen und singen.
Im Tal lebt auch ein nachdenklicher Junge, der manchmal traurig ist. Da sagen ihm die anderen Kinder, dass die Traurigkeit vom Nachdenken kommt und dass es besser ist einfach nur zu spielen, zu malen und zu singen. Der nachdenkliche Junge hört auf die anderen Kinder und denkt nicht mehr nach.
Aber je mehr er spielt, malt und singt, umso schwächer wird er, bis er schließlich so schwach ist, dass er einfach umfällt. Er krümmt sich auf dem Boden zusammen, schließt die Augen und bewegt sich nicht mehr. Die anderen Kinder wollen dem Jungen helfen, aber sie können es nicht und gehen wieder spielen.
Lange Zeit liegt er da. Manchmal träumt er und manchmal ist er wach, manchmal geht es ihm ganz gut und manchmal ist er sehr traurig. Aber nie hat er Kraft, nicht einmal, um die Augen zu öffnen.
Irgendwann spürt er ein pieksen am rechten Arm und der Junge bekommt gerade so viel Kraft, dass er die Augen öffnen kann. Ein Sperling sitzt neben ihm und piekst den Jungen mit dem Schnabel, als ob er ihn aufwecken wollte. Der Junge fühlt sich vom Sperling stark angezogen und beginnt wieder nachzudenken, wodurch er mehr und mehr Kraft bekommt, sodass er sich aufsetzen und schließlich aufstehen kann.
Der Vogel hört auf zu pieksen, sieht dem Jungen in die Augen und schaut dann zum Himmel. Der Junge folgt dem Blick des Sperlings und sieht, dass das Spielen, Malen und Singen der Kinder zu Rauch wird, der zum Himmel aufsteigt. Der Wind bläst den Rauch nach Norden, wo sich der Rauch sammelt, verdichtet und zum großen Berg wird. Erst jetzt wird dem Jungen bewusst, wie furchterregend der Berg ist. Denn dort gibt es kein Licht, obwohl die Sonne hell strahlt.
Der nachdenkliche Junge beobachtet Kinder, Rauch und Berg eine ganze Weile und erkennt: Je mehr die Kinder spielen, ohne nachzudenken, desto mehr Rauch wird zum Berg, der sich immer bedrohlicher über die Kinder neigt, als ob er sie verschlingen wollte.
Der Junge sieht dem Sperling in die Augen und fühlt dadurch große Kraft in sich. Getrieben von dieser Kraft läuft er zu den Kindern, um sie zu warnen. Aber ganz gleich was er tut, die Kinder wollen nicht hören. Da wird der nachdenkliche Junge sehr zornig, doch nicht auf die Kinder, sondern auf den Berg. Er läuft zum Berg und redet und ruft und schreit. Er klagt den Berg an, schimpft mit ihm, verhöhnt ihn, wirft mit Steinen nach ihm - aber nichts geschieht.
Da erkennt der Junge seine Hilflosigkeit, er kann weder die Kinder retten noch den Berg besiegen. Er fällt zu Boden und weint bitterlich.
Als die letzte Träne vergossen ist, bemerkt er den Sperling neben sich. Dieser sieht dem Jungen in die Augen, hüpft dann ein Stück nach Süden, bleibt stehen und sieht dem Jungen wieder in die Augen. Der Junge erhält ein wenig Kraft, steht auf und folgt dem Vogel bis zu einem See. Der Sperling steht am Ufer und schaut ins Wasser. Der Junge tut dasselbe und sieht das Spiegelbild des Vogels im Wasser und rechts daneben das Spiegelbild des Berges. Da hüpft der Vogel nach rechts, breitet seine Flügel aus und verdeckt dadurch vollständig das Spiegelbild des Berges. Dann hüpft er zur Seite und sieht den Jungen an. Der Junge tut dasselbe, aber so sehr er sich auch bemüht, er kann das Bild des Berges nicht ganz verdecken. Da hüpft der Sperling hinter den Jungen und breitet wieder seine Flügel aus. Jetzt ist das Bild des Berges verschwunden durch das gemeinsame Bild des Jungen und des Vogels.
Da erkennt der nachdenkliche Junge, dass er nicht den Berg bewegen kann, sondern nur sich selbst. Und dass er seinen Zorn, seine Angst und seine Schwäche nur überwindet, wenn er sich selbst verändert; aber nicht aus eigener Kraft, sondern nur gemeinsam mit dem Sperling. Der Junge schöpft neue Hoffnung und schaut dem Vogel dankbar und flehend in die Augen. Da wird der Sperling wie Licht, verwandelt sich in einen prächtigen Adler und fliegt in das Herz des Jungen.
Von jetzt an sind Junge und Adler ein Wesen. Er ist nicht mehr zornig auf den Berg und hat auch keine Angst mehr um die Kinder, denn er vertraut mit ganzer Kraft auf die Weisheit des Adlers.