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geschrieben von DER WORTKOTZER.
Veröffentlicht: 11.04.2020. Rubrik: Menschliches


MEIN LEBEN

oder: Nass zu werden kann auch etwas unglaublich schönes sein.


Jetzt, wo sich mein Leben so langsam dem Ende zuneigt, muss ich immer öfter an früher denken. Ein Erlebnis ist mir dabei in ganz besonderer Erinnerung geblieben.

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Öffne langsam meine Augen, schaue mich verwirrt um. Muss eingeschlafen sein, vom Regen geweckt. Alles um mich herum ist nass. Ich bin nass. Ist nicht das erste Mal. Ich hasse es, nass zu sein. Meine Tasse gleicht dem Trevi-Brunnen, nur nicht so gut gefüllt. Schleppe mich unter den Vorbau des Geldautomaten. Geschäftsleute mit Regenschirmen in schicken Anzügen oder sexy Kostümen hasten eilig vorbei, ihr Handy fest im Blick. Keinen Blick aber für mich, keine Zeit, kein Geld. Touristen mit Stadtplänen und festen Schuhen studieren interessiert die Speisekarte des thailändischen Restaurants. Flüchtlinge mit leeren Augen stehen frierend im Eingang der Sprachenschule und rauchen eine Zigarette. Ich aber freue mich auf ein Dach über dem Kopf und einen heißen Teller Suppe.

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Die Nächte sind kurz. Einem innerlichen Drang folgend, gehe ich zur Toilette. Der einzige Ort an dem ich mal allein sein kann. Ein letztes bisschen Privatspähre wenn man so will. Müde sehe ich in den zersprungenen Spiegel. Mein Gott, bin ich alt geworden. Meine Mutter starb an Leukämie, mein Vater wenige Jahre später am Suff. Pflegeeltern, mehrere Heime, kleinkriminelle Handlungen, Knast, Obdachlosigkeit. Das ist mein Leben. Jetzt, Anfang 30, hangel ich mich von einem Tagtraum zum nächsten. Ohne Perspektive, ohne Hoffnung. Allein, und doch nie allein. Der Mann im Spiegel erinnert mich an Robinson Crusoe und an die wenigen Tage einer unbeschwerten Kindheit. In meiner zerschlissenen Unterwäsche rauche ich heimlich den Rest einer weggeworfenen Zigarette. Dann schlurfe ich zurück in den total überfüllten, übelriechenden, aber warmen Schlafsaal des Obdachlosenheims. In der Hoffnung am nächsten Morgen von meinen getrockneten Klamotten genauso gewärmt zu werden wie jetzt von meiner Decke, schlafe ich ein.

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Als ich aufwache sind die meisten bereits unterwegs oder am frühstücken. Mit meinen getrockneten Klamotten und der Gewissheit, dass mir nichts gestohlen wurde, mache ich mich auf den Weg zu meinem Arbeitsplatz. Mir gefällt der Ausdruck. Über Nacht hatte es geschneit und die Temperaturen waren drastisch gefallen. Ich würde also den ganzen Tag lang frierend im Eingangsbereich des Geldautomaten verbringen. Die Morgendämmerung liegt kalt und unerbittlich in der nebelverhangenen Stadt. Es herrscht eine gespenstige aber sogleich auch angenehme Ruhe vor dem drohenden Lärm des nahenden Berufsverkehrs. Leise knirschen meine Schritte im Schnee.

Als ich gerade die Brücke Richtung Innenstadt überschreite reißt mich ein lautes Platschen aus meiner Lethargie. Irgendjemand oder irgendetwas musste in den Fluss gestürzt sein. Ohne zu überlegen laufe ich los. Laufe die von Eis bedeckte Treppe hinunter, entledige mich meines von Motten zerfressenen Mantels und springe mit dem Gedanken: „Schon wieder Wasser“, in den Blasen werfenden Fluss. Die milchig scheinenden Strahler des langsam sinkenden Wagens weisen mir den Weg. Dann geht alles ganz schnell. Mit aller Kraft öffne ich die Fahrertür, löse den Sicherheitsgurt und ziehe den bewusstlosen Mann aus dem Auto. An Land lege ich ihn auf meinen Mantel, öffne sein viel zu enges Hemd, entknote seine Designerkrawatte und versuche ihn zurück ins Leben zu holen. Endlich! Ein tiefes Ein- und Ausatmen, ein verwirrter Blick, ich habe es geschafft. Da außer mir anscheinend niemand den Unfall bemerkt hatte, und um diese Uhrzeit praktisch niemand hier unten am Fluss vorbeikommt, trage ich den stark blutenden und vor Schmerzen stöhnenden Mann kurzerhand zum nächsten Taxistand, oben, am Ende der Brücke. Widerwillig nimmt uns der Fahrer mit den Worten: „Und passen sie ja auf, wegen dem Blut meine ich. Haben sie überhaupt Geld dabei?“ auf und fährt uns zum nahegelegenen Klinikum. Und während ich als gefeierter Held vom Krankenhauspersonal beglückwünscht eine warme Dusche nehme und neu eingekleidet werde, liegt der Verunfallte bereits im OP. Nach einem überaus leckeren zweiten Frühstück gebe ich auf dem Polizeirevier meine Personalien und das Geschehene zu Protokoll.

Kurze Zeit später mache ich es mir dick eingepackt auf einer Decke mit dem Aufdruck KLINIKUM im Eingangsbereich des Geldautomaten bequem. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne zaubern ein kleines Lächeln in mein Gesicht. Wider aller Logik war ich es gewesen, der jemandem hatte helfen können. Ein unglaublich schönes, nicht zu beschreibendes Gefühl! Mit den mir nur allzu bekannten Worten: „Hey, kannst du nicht woanders deinen Rausch ausschlafen!?“, werde ich aus meinen Gedanken gerissen und in die Realität des Alltags zurückgeholt.

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Fünf Monate später hält eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben vor dem Geldautomaten. Ein perfekt gekleideter Chauffeur mit Schildkappe verlässt den Wagen. „Na, hat dein Boss die Brieftasche vergessen?“, denke ich noch, als er mich unvermittelt anspricht und unglaubliches von sich gibt. Nach einer Einkaufstour durch die besten Schuh- und Herrenbekleidungsgeschäfte der Stadt, etliche Juweliere und dem Besuch eines französischen Coiffeurs fahren wir aufs Land. Vor einem kleinen Schlösschen inmitten eines englischen Parks halten wir an. Freudestrahlend kommt mir ein Mann leicht humpelnd, auf eine Krücke gestützt, entgegen. „Danke! Danke, danke, danke!“, wiederholt er immer und immer wieder, während er mich tränenüberströmt in seine Arme schließt.

Ein Jahr später.

Der Rest ist schnell erzählt. Der Mann, den ich aus dem eiskalten Fluss gezogen habe, ist ein Weltweit agierender Ölmagnat. Heute sitze ich als Co-Partner im 50sten Stockwerk seiner Filiale in Mega City und schaue gedankenverloren auf das tief unter mir in der Sonne glitzernde Meer.

Nass zu werden kann auch etwas unglaublich schönes sein.    


ENDE

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