geschrieben 2004 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 02.04.2015. Rubrik: Fantastisches
Der Zwerg mit der Schubkarre
Ich hatte gesiegt und das grässliche Geschöpf war tot. Ich packte den Körper an seinem verdrehten Hals und schmiss ihn in den Bach. Keine Spur mehr von dem verlogenen Bild von Treue und Zuneigung war in dem Leichnam zu finden, ohne das rote Halsbändchen wirkte er als Ausgestoßener, selbst von jenen die seiner Heuchelei verfallen ihre Gefühle an ihn verschwendet hatten.
„Nun haltet ein“, sagte der Mann mit dem Helm auf der anderen Seite des Baches. „Was ist Euer Begehr?“
Ich nahm meine Schubkarre. „Rüber will ich. Auf die andere Seite. Zum Eremiten will ich.“
„Oho!“ machte der Mann mit dem Helm. „Ein Reisender also seid ihr. Soso. Woher kommt Ihr denn?“
„Von allen meinen Reisen zu erzählen, würde Euch zu einem alten Manne machen, lange bevor ich von Orten berichte, von denen Ihr jemals gehört habt“, log ich.
„Feinfein gesprochen. Ein gefährliches Leben scheint Ihr zu führen.“ Er blickte das Geschöpf im Bach an. „Die Götter sollten Euch wohlgesonnen sein auf dem Rest Eurer Reise. Sonst könnte es Euch schlecht ergehen.“
„Danke für den frommen Wunsch. Ich will aber nur zum Eremiten, dann ist meine Reise zu Ende.“
Er hielt die Hand auf. „Nana, ist Euch die Gunst der Götter nur auf langen Wegen von Wert? Wollt Ihr über unsere Götter spotten?“
„Dreht Euch um, da steht die Hütte!“
Der Mann kam auf mich zu und stieg mit den Füßen in den Bach. „Nun aber genug der Plauderei. Gebt mir den zehnten Teil von dem, was Ihr mit Euch führt, und die Götter werden es Euch danken.“
„Ich habe nichts von Wert bei mir.“
„Nun da wird sich doch sicher was finden.“ Er zog die Plane von meinem Schubkarren. „Die Götter können vieles gebrauchen. Sie haben ja auch vieles erschaffen.“
Ich nickte gelangweilt.
„Oh, Schriftrollen“, staunte der Mann.
Ich ließ ihn in seinem Irrtum. „Ja, nehmt eine davon und gebt sie den Göttern. Das war’s dann wohl?“
„Oh und hier“, er durchwühlte den Stapel Unterhosen. „Seltene Stoffe. Schneiderkunst!“
„Nehmt einen Stoff oder eine Schriftrolle. Und dann verschwindet.“
„Oh nein“, winkte er mit dem Finger. „So einfach ist das nicht. Den zehnten Teil, so schreiben es die Götter vor.“
„Das sind sieben Unterhosen und drei Blätter mit Papier.“
„Und eine rote Schleife. Und das ist es, was die Rechnung so schwierig macht.“
„Ihr nehmt die Schleife und eine Unterhose und ich gehe jetzt über den Bach.“
Geschickt stellte er sich wieder vor mich. „Mitnichten, mein kurzer Freund. Wollt Ihr den Göttern süßen Wein um das Haupt schmieren, wenn Ihr mehr als nur den zehnten Teil abgebt? Was denkt Ihr, wie das auf die Gunst der Götter gegenüber all den anderen Wanderern wirkt, die nur den zehnten Teil geben können? Neinnein, das kann nicht sein.“
„Und wenn ich von diesem Papier jetzt einen Teil abreiße und den Göttern gebe. Dann wird es schon passen.“
„Was sollen die Götter denn damit? Das kann doch kein Schwein mehr lesen.“ Er holte ein Buch aus seiner purpurnen Kutte. „Wollen wir sehen, was die heiligen Verse dazu sagen.“
„Wo ist mein Fufu?“ Eine kleine Gestalt mit einem langen Zopf rannte durch das Gebüsch.
„Da liegt er“, grummelte ich.
Das Mädchen begann zu schreien und sank mit den Knien in den Schlamm am Ufer des Baches.
„Sei froh dass du das Mistvieh los bist.“
„Fufu Fufu“
„Hier ist sein rotes Schleifchen.“
„Oh. Ja. Huch. Ach“, machte das Mädchen und drückte die Schleife an ihr Herz.
„Herr Wächter“, rief ich. „Wollt Ihr nochmals in meine Schubkarre schauen? Ich kann Euch den zehnten Teil jetzt geben.“
„Was?“ fragte er, noch immer in sein Buch vertieft.
„Seht Euch meine Schubkarre noch einmal an und zählt. Ich sage Euch, jetzt muss es gelingen mit der Gabe.“
Er stand auf, ging ins Trockene und beugte sich über die Schubkarre. „Sieben Stoffe, drei Schriftrollen und kein Schleifchen. Der zehnte Teil davon wäre eins.“
„Na also.“
„Aber das ist nicht so.“
„Ich gehe jetzt hinüber. Ja?“
Er schüttelte sich die nassen Beine. „Oh nein. Keineswegs. Die Schubkarre. Das ist Teil elf. Ohja, so ist es und so sei es. Lassen wir die heiligen Verse entscheiden.“
„Soll ich dir erzählen, wie Fufu ums Leben gekommen ist, mein Kind?“
„Oh. Hm. Ja.“
„Der böse Mann dort mit dem Helm. Er ertränkte Fufu im Bach.“
Das Mädchen lief rot an am ganzen Körper und stürzte sich auf den Mann mit dem Helm. Sie biss ihm die Ohren ab und kratzte ihm mit den Fingern die Augen aus. Mit einem spitzen Stein schlitzte sie ihn von der Brust bis zum Bauch auf und zog die Eingeweide aus seinem Körper bis nichts mehr in ihm war.
Ich stemmte meine Schubkarre in die Höhe und marschierte durch den Bach. Jaja. Nichts ist stärker als die Liebe zu einem Hund.
„Und wie war deine Reise?“ Der Eremit lag lang ausgestreckt auf seinem alten Sofa.
„Ich habe einen kleinen Hund getötet und ein Geweihter hätte mir beinahe eine meiner Unterhosen abgenommen.“ Mehr fiel mir nicht ein.
„Setz dich nicht an diese Stelle. Irgend ein Metall kommt da schon aus der Polsterung.“
„Ich habe Unterwäsche für sieben Tage dabei. Hätte ich eine Unterhose abgeben müssen, hätte ich nach sechs Tagen schon wieder gehen müssen.“
„Das Sofa ist ja auch uralt.“
„Oder ich hätte an zwei Tagen dieselbe Unterhose getragen.“
„Hast du Hunger?“
„Ja. Und ich hab auch drei neue Spiele erfunden.“
„Spaghetti mit scharfer Soße?“
„Ja. Nebenher kannst du raten, was für Spiele ich erfunden habe.“
„Wie soll ich den darauf kommen? Mach mal das Fenster auf wegen der Zwiebeln.“
„Du bist einfach nicht bei der Sache.“
„Ich bin am Kochen.“
„Gut, dann rätst du die Spiele eben später.“
„Machen wir nebenher ein Spiel?“
„Ja. Wir machen Leute nach und du musst raten.“
„Gut.“
„Ich bin dran: ´Wo ist mein Fufu´“
„Weiß nicht“
„Das Mädchen mit dem Hund.“
„Aha.“
„Ich bin noch mal dran: ´Oh Schriftrollen´“
„Weiß nicht.“
„Der Geweihte am Bach.“
„Soso.“
„Mir fällt nichts mehr ein.“
„Egal. Das Essen ist auch fertig.“
„Machen wir nebenher ein Spiel?“
„Auja. Weisst du ein Spiel?“
„Ich sage dir den Anfangsbuchstaben von einem der neuen Spiele, die ich erfunden habe und du musst raten, welches Spiel das ist.“
„Das errate ich doch niemals.“
„Und dann bekommst du den nächsten Buchstaben. Ich fang an: ´B`“
„Weiß nicht.“
„´U`“
„Hm.“
„Spielen wir dieses Spiel nach dem Essen?“
„Ja, unbedingt.“
Dazu sollte es nicht mehr kommen.
Mein Kopf schmerzte fürchterlich.
„Diesmal hat es ihn aber ordentlich erwischt.“ Die Frau beugte sich über mich.
„Ich glaube, er kommt zu sich“, sagte der Mann mit Bart. „Captain, können Sie mich hören?“
Ich nickte.
„Ich will nur hoffen, dass er keinen bleibenden Schaden abbekommen hat.“ Die Frau schaute besorgt drein und schüttelte ihr wirres blondes Haar.
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte der Mann mit Bart.
„Ich habe Kopfschmerzen.“
„Wir brauchen ihn Doktor“, sagte die Frau.
Der Doktor blickte mir in die Augen. „Können Sie aufstehen?“
„Ja.“
„Dann nehmen Sie ihn mit. Und passen Sie auf ihn auf, dass er so etwas nie wieder tut.“
„Gewiss. Wir brauchen ihn schließlich.“
Die beiden Männer standen auf, als ich den Konferenzraum betrat. Ich nahm Platz.
„Möchten Sie die Sitzung eröffnen?“ fragte der größere mit den langen Haaren.
„Ja, ich eröffne die Sitzung.“
„Danke.“ Die Herrschaften setzten sich. Die Frau neben mich, die Männer mir gegenüber.
Der kleinere Mann wirbelte nervös mit den Händen. „Wir haben ein ernstes Problem.“
„Aha“, sagte ich.
„Unser Chefingenieur hat seinen Werkzeugkasten wieder direkt vor die Türe des Maschinenraums gestellt und jedes Besatzungsmitglied, das den Maschinenraum betreten will, muss entweder darüber steigen oder dagegen stoßen.“
„Das habe ich dir gleich gesagt, dass er das wieder tut“, sagte die Frau mit dem zerzausten Haar.
„Das kann so nicht weitergehen“, ergänzte der Mann mit den langen Haaren.
„Wir sollten mal ein ernstes Wort mit ihm reden“, meinte die Frau.
„Ja, reden wir mit ihm“, sagte ich.
„Danke, dass Sie gekommen sind.“ Der kleinere Mann machte ein besorgtes Gesicht. „Ich weiß nicht wie ich es Ihnen sagen soll...“
„Wir haben ein ernsthaftes Problem“, fiel ihm die Frau ins Wort.
„Sie stellen Ihren Werkzeugkasten immer direkt vor die Türe des Maschinenraums und jedes Besatzungsmitglied, das den Maschinenraum betreten will, muss entweder darüber steigen oder dagegen stoßen“, ergänzte der Mann mit den längeren Haaren.
Der kleinere Mann rang nach Worten. „Das kann so nicht weitergehen.“
„Tut uns leid, dass wir mal so ein ernstes Wort mit Ihnen reden müssen.“
Der Ingenieur zuckte mit den Schultern.
„Stellen Sie den Werkzeugkasten woanders hin“, sagte ich.
„Nagut“, antwortete der Ingenieur.
Der kleinere Mann nahm meine Hand. „Oh Captain, vielen Dank!“
„Es ist so schön, dass Sie wieder da sind, Captain“, sagte die Frau.
„Was hätten wir nur ohne Sie angefangen?“ ergänzte der Langhaarige.
„Ja, gern geschehen“, meinte ich.
Die Alarmsirene steigerte die Nervosität der Brückenbesatzung.
„Der Feind ist in unser Hoheitsgebiet eingedrungen.“ Die Stimme klang voller Panik.
„Das ist ein kriegerischer Akt“, fügte eine andere Stimme hinzu.
„Nach so vielen Jahren des Friedens.“
„Was sollen wir nur machen?“
„Macht doch endlich die verdammte Sirene aus.“
„Das ist das Ende.“
„Oh Captain, bitte retten Sie uns.“
Der Ledersessel in der Mitte der Brücke war eigentlich viel zu groß für mich, aber trotzdem bequem. Die Fußstütze war unnötig, da ich am liebsten im Schneidersitz saß. Am Ende der rechten Armlehne war ein roter Knopf angebracht. Ich las die Aufschrift: „Feind zerstören“ und drückte auf den Knopf.
Die Brückenbesatzung hatte ein mehrstimmiges Loblied auf ihren Captain angestimmt. Eine Frau mit dunkler Hautfarbe hatte ein Reinigungsmittel und ein Tuch besorgt und begann, mir die Schuhe zu putzen. Der Chefingenieur löste die Schrauben meines Sessels. Als das Lied bei den Worten „drei mal hoch“ angelangt war, packten sie meinen Sessel und hoben mich empor bis mein Kopf beinahe die Decke der Brücke streifte.
„Hinein, hinein in seinen Palast. Der Captain braucht jetzt seine Rast“, endete das Lied als sie mich zusammen mit dem Ledersessel vor einer reich gedeckten Tafel absetzten. Ich ließ mir von der Köchin ein paar Nudeln aufschöpfen, verzichtete aber auf die Soße und ließ mir stattdessen einen Fondor-Streuer reichen.
Die Mahlzeit war trotzdem zu üppig gewesen. Schon nach wenigen Minuten des Brustschwimmens spürte ich ein Drücken im Magen. Ich drehte mich auf den Rücken und konnte mich selbst an der Glasdecke gespiegelt sehen. Normalerweise war es nicht möglich, lange auf dem Rücken schwimmen, ohne gegen einen anderen Schwimmer zu stoßen. In meinem Palast schien es aber keine anderen Badenden zu geben. Ich schloss die Augen und dachte mir ein neues Spiel aus.
Niemand sollte mich diesmal finden. Der Chefingenieur hatte den Maschinenraum gerade verlassen, sein Werkzeugkasten stand sauber aufgeräumt auf dem Metallschrank. Leise quetschte ich mich in den Zwischenraum zwischen Metallschrank und der Wand und ließ mich nieder. Die Füße gegen die Wand stemmend schlug ich mit dem Kopf gegen den Metallschrank. Es schmerzte fürchterlich und ich merkte, dass meine Wunde längst noch nicht verheilt war. Beim zweiten Schlag begann der Raum sich zu drehen, beim dritten spürte ich meinen Kopf nicht mehr.
„Und wie war deine Reise?“ fragte der Eremit.
Ich erinnerte mich diesmal an überhaupt keine Einzelheiten. „Keine Ahnung“, sagte ich.
„Was macht deine Erkältung?“
„Hm. War ich erkältet? Ich weiß nicht mehr. Wahrscheinlich bekomme ich sowieso bald die nächste.“
„Setz dich nicht an diese Stelle. Irgend ein Metall kommt da schon aus der Polsterung.“
„Ich hab vier Spiele dabei, die du noch nicht kennst. Die sollten wir endlich spielen.“
„Klar. Wenn die Zeit diesmal reicht. Hast du Hunger?“