Veröffentlicht: 26.09.2020. Rubrik: Fantastisches
Realität - Der Drift 13.1
Es ist spät. Oder ehr früh. Zwanzig nach Drei. Das Wetter ist umgeschlagen und es nieselt. Ich habe nur eine leichte Sommerjacke mit, die die Feuchtigkeit langsam durchdringt.
Hendrik hat mich auf eine Spur gesetzt, dadurch habe ich bekommen was ich gesucht habe. In meinem Kopf kreisen die verschiedenen Aspekte, die meinen Geist erklären sollen. Doch die Erklärung, die mich nicht loslässt, ist die der nicht manifestierten Realität. Wenn das so ist, ist mein Geist tatsächlich nur ein Traum. Zwar ein möglicher Traum, aber eben nur ein Traum. Weshalb habe ich mich gegen ihn entschieden? Wegen Aurora? Kann ich überhaupt für oder gegen etwas entscheiden, wenn ich keine bewusste Erinnerung an die Ereignisse habe? Ich habe von ihr geträumt, also erinnert sich irgendetwas in mir!
Ich liebe Aurora, gewiss. Ich könnte mein Leben mit ihr verbringen.
Doch ich fühle die Leere in mir. Mein Geist ist es den ich vermisse.
Ich bin Zuhause. Das von Aurora und mir, unser Heim. Ich bin zu ihr gezogen, wenige Wochen nachdem wir uns während der Fahrt im Zug nähergekommen waren. Keine Ahnung was mich damals umtrieben hat, sie auf einen Kaffee in Bad Münder einzuladen. Es hat sofort gefunkt zwischen uns. Wir mussten mit dem Bus nach Hameln zurück. Die Strecke war gesperrt. Unser Zug mit dem wir eigentlich bis nach Hameln fahren sollten, wurde durch eine Explosion im Hamelner Bahnhof teilweise zerstört. Wie sich nachher herausstellte, hatte jemand eine Propanflasche zwischen Bahnsteig und Gleise deponiert. Die Zugmaschine schlug das Ventil leck und irgendein Funke brachte die Flasche zur Explosion. Es war ziemlich übel. Es gab Tote. Als wir davon auf der Heimfahrt hörten, waren Aurora und ich ziemlich geschockt. Keiner von uns beiden wollte diese Nacht allein bleiben. Uns wurde nur nach und nach bewusst, wieviel Glück wir eigentlich gehabt hatten.
Aurora schaut vom Sessel aus zu mir, als ich die Wohnungstür öffne. Sie hat ihre Beine zu sich auf die Sitzfläche gezogen und sich in eine Decke eingewickelt. Wie in einem Kokon. Vor ihr auf dem Tisch steht ein leeres Weinglas und ihre Augen sind gerötet.
„Verliere ich dich?“
Das saß! Keine Vorwürfe, keine Szene. Nur eine einfache Frage. Ich versuche die Frage ehrlich zu beantworten und überlege sekundenlang.
„Nein, warum? Ich war doch nur bei Hendrik. Wir redeten.“
„Ich weiß. Das meine ich auch nicht.“
Sie mustert mich durchdringend.
„Ich rede von dem Schatten.“
Eine Facette ihrer Persönlichkeit, ist ihre Intelligenz. Ich vermeide ihren Blickkontakt.
„Aurora, ich …“
„Nein, warte, sag nichts.“
Sie steht auf, schlägt die Decke achtlos zur Seite. Bedächtig, fast vorsichtig, auf nackten Füssen, kommt sie zu mir. Ihre Arme legen sich um mich, die Hände finden sich in meinem Nacken, streichen durch mein Haar. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und zieht sich heran zu meinem Gesicht. Betrachtet mich, neigt ihren Kopf ganz nah an mein Ohr und flüstert mir zu:
„Laurent, was suchst du?“
„Nicht…“
„Was muss ich tun?“
Was immer ich noch sagen will, Aurora versiegelt meinen Mund.
to be continued