Veröffentlicht: 06.02.2021. Rubrik: Unsortiert
Theater
Es herrscht ein Zwielicht in der Gasse. Alte Häuser ein wenig schief, drängen aneinander und geben nur widerwillig den Weg auf das Kopfsteinpflaster frei. Warmes Licht drängt aus grünlichen, kleinen Scheiben der meist zweigeschossigen Häusern mit niedrigen Wohnräumen. Der Geruch von Rauch und Menschen wird fast wahrnehmbar. Nur gedämpft gelangen einige Laute der Bewohner an das Ohr. Ölige Laternen an den Häusern lassen die Szene ehr bedrohlicher erscheinen als Licht zu spenden. Die langen, dunklen Schatten lauern wartend auf den Unvorsichtigen, der einen ungewissen, aber bestimmt keinen frohen Martyrium entgegenstrebt. Ein schwerer, klackender Schritt nähert sich dem Straßenausschnitt.
Ein Mann mit langem, dunklem Mantel und einem Stock, der in einem silbernen Beschlag endet, kommt mit schweren, schlurfenden Schritten, dem der Elan fehlt, näher. Fast widerwillig setzt er einen Fuß vor dem anderen. Die Kleidung des Mannes spiegelt wohlhabendes Bürgertum wider. Der Mann ist gesetzten Alters und tiefe Furchen haben sich von dem Gesehenen in seine Stirn gegraben. Honorius hat eine Stelle am Hofe des Kurfürsten Wilhelm inne.
Unter dem Arm trägt er ein dickes, wertvolles Buch, das er sich von einem befreundeten Gelehrten geliehen hat. Es ist eine lateinische Übersetzung der griechischen Göttersagen. Mit dieser Übersetzung erhofft er sich den Durchbruch in seiner Arbeit, die auch sein Leben bedeutet. Er lehrt nicht nur die griechische Mythologie, er lebt in ihr. Sein ganzes Leben hat er ihr gewidmet. Sie ist eine anspruchsvolle Geliebte. Kaum das sie Platz für die notwendigsten Dinge des Lebens lässt. Und obwohl er ihr sein ganzes Leben geopfert hat fürchtet er die weitere Enttäuschung. Tief in seinem Inneren hat er die Gewissheit längst akzeptiert das er ohne die griechischen Originale, die weit außerhalb seiner Möglichkeiten liegen, sein Lebenswerk vollenden kann.
Als der Mann die vorderste Häuserfront erreicht, tritt ein weiterer Mann in den gelblichen Lichtkegel einer Öllaterne. Benvenuto ist jünger und hagerer. Seine Haare hängen in langen Strähnen in sein Gesicht. Er ist ungepflegt und seine Kleidung alt und geflickt. Das Schicksal hat ihn oft gefordert und selten waren die Alternativen angenehm gewesen, zwischen denen er hätte wählen können. Nun ist er an einen Scheidepunkt angekommen, welcher ihn nur noch die Option zwischen Hungertod und Verbrechen lässt. Seine Augen zeigen den Kampf der Verzweifelung mit der Entschlossenheit. Fiebrig brennt der Schweiß auf seiner Stirn, trotz der Kälte. In seiner Hand glänzt sein letzter Besitz auf dieser Welt. Ein abgewetztes Messer. Schartig und der Schaft notdürftig von einem Stück, groben Holz aufgenommen. Die Bettelschale hatte er am Nachmittag stehen lassen wo sie war. Und obwohl er immer noch mit sich ringt, hat er sich längst an den Abstieg in die eigene Hölle gemacht.
Benvenuto ist am Ende. Wochenlang ist er nun vor den Häschern und dem Gewissen auf der Flucht. Den Mann, den er tötete, folgt ihm in jeden Unterschlupf zu jedem Ort. Tagsüber schweigt er, lauert unter der Oberfläche des Bewusstseins. Nachts wenn Benvenuto sich zurückzieht, um nicht weiter aufzufallen, kommt er hervor. Klagt stumm an, sieht mit seinen gebrochenen Augen in das Herz seines Mörders. Holt jedes Unrecht, jeden Eigennutz Benvenutos hervor und lässt als Gräueltat und Verdammnis sein eigenes Leben ihn verfluchen. Allein der Hölle Grauen lässt ihn noch am Leben hängen. Fürchtet er doch nicht den Tod, sondern den Richter danach. Jeden Tag aufs Neue, flieht er den Ort der letzten Nacht. Einem Bühnenstück gleich durchlebt er seine Tat wieder und wieder. Stirbt Honorius durch seine Hand, nur für sein Verlangen nach einem Stück Brot. Oh, wie freudig würde er den Hungertod willkommen heißen, für die Reinheit seiner Seele.
Doch Benvenutos Gott ist eine grausame Kreatur. Unbarmherzig verstößt er ihn in die Feuergruben. Lässt Benvenuto kein Tor der Barmherzigkeit, ist er doch allwissend, allsehend und unversöhnlich.
Nun steht er vor den Toren der Stadt, die er floh und deren Gassen sich in sein Herz gebrannt haben, jede Nacht aufs Neue. Gleich dem Gang zum Henker schreitet Benvenuto zu der Stadtwache.
„Hier ist der, dessen Hände das Blut des Honorius vergossen. Lasst durch mein verwirktes Leben der Gerechtigkeit Genugtuung widerfahren. Auch wenn ich verstoßen bin, aus des güt´gen Gottes Garten, so soll doch meine Seele Frieden finden, durch das Lächeln Honorius ob meines Henkertodes!“