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geschrieben 2024 von Bjarne Pfennig (BjarneP).
Veröffentlicht: 25.12.2024. Rubrik: Grusel und Horror


Die Rattenkönigin

Ein kalter Wind blies durch die leeren Straßen der Stadt.
Die Stadtmauern waren gefallen. Doch keine wilden Hunde huschten durch die Gassen. Keine Vögel flogen durch den kalten, schwarzen Himmel.
Nur die glänzenden Augen der Ratten blickten aus den Schatten, als zwei kleine Lichter die Dunkelheit brachen.
Zwei Männer traten durch die Straßen der toten Stadt, die Hände fest um ihre Laternen geklammert.
Beide waren weit gereist, auf der Suche nach einem besseren Leben – einem Leben ohne Furcht, und einem vollen Magen. Sie nannten sich selbst die Ritter des Lichts. Zwei Freunde im Kampf gegen die Finsternis.
Ihre Fantasie half ihnen, die Angst zu vertreiben.
»Ich kann kaum die Augen aufhalten«, sagte der Jüngere der beiden und rieb sich die Stirn.
»Mhm«, murmelte der Ältere mit einem Nicken. Er verstand genau, wie sein Kamerad sich fühlte. Auch er wusste nicht, wann sie das letzte Mal Schlaf gefunden hatten. »Wir machen am Ende der Straße Rast«, sprach er. »Ich übernehme die erste Wache. Hast du noch genug Öl?«
»Sicher doch.« Der Jüngere klopfte auf den Beutel an seiner Seite, gefüllt mit Lampenöl.
Er nickte, ehe er sich wieder dem Weg widmete. Für eine Weile schritten sie schweigend hintereinander her. Der Ältere voraus, der Jüngere folgend. Sobald sie sich ausgeruht hatten, würden sie schauen, ob sie etwas Brauchbares in den Überbleibseln finden könnten.
Es war das übliche Spiel.
»Warte mal!«, rief der Jüngere plötzlich auf.
Der Ältere fuhr vor dem Lärm zusammen. Die Ratten zischelten leise.
Er sah zurück. Sein Freund war stehengeblieben und starrte mit großen Augen in die Finsternis.
»Was ist los?«, fragte er.
»Sieh mal da,« sagte der Jüngere. »Ich glaube … da ist was.«
Er hielt die Laterne vor. Im Licht konnte er etwas erkennen – oder besser gesagt jemanden. Ein kleines Mädchen, höchstens sechs Jahre alt, lag zusammengerollt auf einer Türschwelle.
Die beiden Männer sahen sich ratlos an.
»Lebt sie noch?«, stellte schließlich einer die Frage, auf welche keiner eine Antwort wusste. »Wenn ja, wie?«
Die beiden zögerten und der Ältere traute sich schließlich näherzugehen. »Ist alles in Ordnung, Mädchen?«, fragte er. Keine Antwort. Keine Bewegung.
Er stellte die Laterne vorsichtig zu seinen Füßen nieder und trat vor das Kind. Sie lebte tatsächlich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich sachte. Sie schlief. Sie war unverletzt.
Er spürte tausende stechende Blicke in seinem Nacken, doch noch stand er im Schein der Laterne, in Sicherheit. Er sah zu seinem Freund zurück, und dann wieder zu dem Kind. Vorsichtig beugte er sich herab, nahm es in die Arme und hob es hoch vom kalten Boden. Das Mädchen zuckte im Schlaf, drehte sich, und erwachte.
Bevor er hätte reagieren können, hatte sie ihre Zähne in seinem Arm versenkt. Er schrie auf und versuchte sie abzuschütteln. Stolpernd trat er die Lampe um. Das Glas brach und sie erlosch.
»André!«, schrie der Jüngere, als sein Kamerad von der Finsternis eingehüllt wurde.
Der Mann schaffte es, das Mädchen von sich zu werfen, als ihn ein schwarzer Schwarm einhüllte. Die Ratten quietschten und rissen an seinem Fleisch.
Sein Kamerad sprang rasch an seine Seite. Er hielt die Laterne in die Höhe und die Ratten stoben davon.
»Ist alles in Ordnung?« Er stützte seinen Kameraden.
»J-ja … es geht schon.«
Das Mädchen hatte sich zurück in die Schatten verzogen. Zitternd drückte sie sich an die Mauer. Die Ratten saßen zu ihren Füßen, taten ihr aber nichts. Sie alle starrten die beiden Männer an. Die Augen des Mädchens waren ängstlich, und doch …
»Wir tun dir nichts«, sagte der Jüngere ruhig. »Du brauchst keine Angst zu haben, Kleine.«
Das Mädchen blinzelte. Die Ratten hinter ihr quietschten und zischten, doch die Aufmerksamkeit des Mädchens lag völlig auf der übrigen Laterne. Sie streckte eine Hand in den Lichtkegel und schrie auf. Die Ratten wurden aufgeregt, huschten umher. Das Mädchen stolperte zurück in die Schatten und hielt sich den Arm. Brandblasen formten sich auf ihrer Haut.
»Was ist sie?«, rief der Jüngere.
»Woher soll ich das wissen?«
Die beiden beobachteten sie mit großen Augen. Die Ratten umgaben sie, wisperten und leckten ihre Wunde.
In dem Moment lachte der Jüngere hell auf. »Das ist doch erstaunlich! Es ist so, als wäre sie eine von ihnen.«
»Was freust du dich so?«
»Verstehst du’s nicht? Die Ratten kümmern sich um sie … dieses Mädchen ist die Lösung. Die Ratten sind mehr als stumpfe Monster ohne Sinn und Verstand. Wenn sie uns verrät, wie sie so geworden ist, brauchen wir nie mehr die Dunkelheit zu fürchten.«
Der Ältere sah ihn ungläubig an. »Spinnst du? Du bist ein Ritter des Lichts!«
»Ach, dieses alberne Spiel. Wir haben so lange nach einem Weg gesucht, diesem Albtraum zu entkommen … Du wirst schon sehen, mein Freund.«
Er setzte einen Schritt in die Dunkelheit, auf das Mädchen zu. »Keine Angst, meine Kleine. Ich bin hier, um mich euch anzuschließen.« Er fiel auf die Knie, den Kopf auf den Pflasterstein gedrückt. »Ich will Euch dienen. Oh Herrin der Finsternis! Königin der Ratten!«
Das Mädchen sah ihn verwirrt an. Sie neigte ihren Kopf zur Seite. Die Ratten krochen langsam an ihr vorbei, auf den Jungen zu.
»Lass den Schwachsinn! Komm zurück!«, schrie der Alte. Doch es war zu spät. Die Ratten machten sich über den Jungen her. Er schrie. Dann verklangen seine Schreie im Gurgeln, bis Sekunden später stille einkehrte.
Das Mädchen beobachtete alles mit einem ausdruckslosen Gesicht.
Und als die Ratten sich wieder verzogen hatten, waren nicht mal mehr die Knochen des Mannes übrig.
»Du kleines Miststück!«, brüllte der Alte. »Das bist alles du gewesen, nicht wahr?! Das ist alles deine Schuld!«
Das Mädchen zuckte vor dem Lärm zusammen.
Er fuchtelte mit der Laterne herum und die Ratten verkrochen sich. Doch das Mädchen konnte nicht fliehen. Sie kauerte gegen den Stein, ihr Gesicht mit den Händen gedeckt, um sich vor dem Licht zu schützen.
»Ich bring’ dich um, Hexe!« Er packte das Mädchen am Arm. »Brenn’!«
Sie schrie schrill auf. Doch er riss sie in die Höhe. Sie wand sich, schlug und trat nach ihm und seiner Laterne.
Das Licht verbrannte langsam ihre Haut. Doch er hielt sie fest. Sie würde dafür bezahlen, was sie getan hatte. Die Ratten fauchten und quiekten wild am Rande des Laternenscheins.
Wimmernd kratzte und biss das Mädchen, doch ihre Kräfte verließen sie. Das Laternenlicht hatte ihre Haut gefressen und biss tief in ihr Fleisch. Ihre Mühen wurden träge, ziellos, bis sie hinabsackte. Ihr Atem wurde schwächer.
Ihr verbrannter Körper wurde hart und schwarz und blätterte, wie Kohlen im Ofen.
Sie schrie nicht mehr.
Erst als sie vollkommen zu Asche zerfallen war, atmete der letzte Mann schwer auf. Seine Arme, sein Gesicht, waren zerkratzt.
Sein Blut tropfte auf den Pflasterstein. Erschöpft ließ er die Laterne fallen.
Die Ratten quietschten.
Er sank auf die Knie, als wieder die Finsternis einkehrte und nur die Ratten in der toten Stadt verweilten.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Bad Letters am 31.12.2024:

Nicht unbedingt meine Rubrik Bjarne, aber lesenswert geschrieben!

MfG
Bad Letters

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