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geschrieben 2022 von Bjarne Pfennig (BjarneP).
Veröffentlicht: 26.04.2023. Rubrik: Historisches


Der sizilianische Bulle

Unter der glühenden Sommersonne schlenderten zwei Männer durch einen Garten. Unzählige Blumen blühten zu ihren Seiten und Schmetterlinge beseelten die Luft, aber die beiden Männer gingen achtlos an ihnen vorüber, bis sie im Schatten einer alten Eibe zu stehen kamen.
»Ist das, was du mir zeigen wolltest, Perillos? Was ist das?« Derjenige, der sprach, war Phalaris, der Besitzer des Anwesens, zu dem der Garten gehörte. Er war groß und trug ein prächtiges Himation um die Schultern. Sein Gesicht hatte den harten Ausdruck eines Gebieters, denn genau das war er; der Herrscher über Akragas.
»Es ist genau das, was Ihr von mir verlangt habt, mein Herr«, antwortete Perillos, der Mann an seiner Seite. Er war kleiner und schmächtiger als Phalaris. Ein Mann des einfachen Volkes, welcher aber nicht ungerühmt für die Arbeit war, welche er als Erzgießer vollbrachte.
»… Eine Statue?« Im Schatten vor ihnen stand die bronzene Figur eines Stieres, in voller Lebensgröße.
»Nicht ganz.« Ein Grinsen formte sich auf Perillos' Lippen. »Es ist eine Maschine, wie ihr sie Euch gewünscht habt. Eure Feinde werden nichts zu lachen haben …«
»Meine Feinde«, sagte Phalaris. »Meine Feinde haben auch jetzt nichts, worüber sie lachen können. Ich will, dass sie leiden, so wie sie es verdienen.«
»Oh, das werden sie.«
»Hm, wohl an. Dann erkläre mir, wie funktioniert sie, diese … Maschine?«
»Die Figur ist hohl«, erklärte Perillos, noch immer breit grinsend. »Es gibt eine Klappe an der Seite, groß genug, dass ein Mensch hineinpasst.«
Der Herrscher lauschte.
»Hat man erst jemanden hineingesperrt, so verriegelt man die Klappe und entzündet ein Feuer unter dem Bullen. Ihr könnt Euch vorstellen, was dann geschieht.«
»Hm, ja, das kann ich durchaus.« Phalaris sprach, ohne die kleinste Regung in der Stimme. »Mir gefällt die Idee, aber warum hat es die Form eines Stieres? Das wirkt so geschmacklos dem Göttervater gegenüber, findest du nicht?«
Zum ersten Mal zeigte sich ein Bruch in Perillos' Grinsen. »Ähm, nun, ich dachte nicht, dass Ihr …«
»Das ich was? Der Segen der Götter ist wichtig. Ohne ihn wäre ich nicht, wo ich jetzt bin, und das Gleiche gilt auch für dich, Perillos!«
»J-ja, aber es ist so; ist das Feuer erst entzündet, und fängt der Gefangene an zu schreien, hallen die Klänge an der Bronze wider. Dann klingt es wie das Brüllen eines wilden Stieres. Ich dachte, es wäre zu Eurem Geschmack, mein Herr. Wenn Ihr wollt, lasse ich es anpassen.«
»Nein, es ist wohl in Ordnung.« Phalaris neigte den Kopf. »Aber jetzt will ich sehen, wie es funktioniert. Präsentiert es mir in der Anwendung.«
»Was, jetzt etwa? G-Gut, in Ordnung, … Ich werde den Soldaten umgehend befehlen, einen Eurer Gefangenen …«
»Ich glaube, das wird nicht nötig sein. Kein anderer ist so sehr in der Ausführung geübt wie du. Es wird die beste Präsentation sein, wenn du selbst hineinsteigst, also los.«
»I-Ihr beliebt zu scherzen, mein Herr …«
Sein Gesicht war, wie seine Stimme, ungeregt und frei von Missverständnis. »Es gefällt mir nicht, mich wiederholen zu müssen, Perillos. Müssen meine Soldaten dich erst in die Maschine stecken, oder tust du es selbst? Ich warte!«
»Nur eine Präsentation?«, flüsterte Perillos.
»Nur eine Präsentation.«
»Und Ihr werdet nicht das Feuer …?«
»Ich werde das Feuer nicht entzünden.«
Perilles schluckte Speichel herunter. »N-nun gut, ja, in … in Ordnung.« Er wandte sich von Phalaris ab und trat langsam auf den Bullen zu. »Also, als Erstes öffnet man die Klappe« – er öffnete sie und sah in das Innere seiner Schöpfung. Das Metall war leicht aufgewärmt von der Sommersonne – »und dann, na ja, steigt der … Schuldige hinein.« Perillos kletterte hinein. Er konnte Phalaris sehen, als sich die Klappe schloss.
Die Luft war stickig und sein Herz trommelte in seiner Brust. Jede Sekunde fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Wie lange wartete er? Perillos konnte Schritte hören. Und dann erklang die Stimme Phalaris', dumpf hinter dem Metall:
»Entzündet das Feuer!«
Es war, als hätte sein Herz einen Satz ausgesetzt. Er fühlte sich, als müsste er sich übergeben, aber er schaffte es, irgendwie, sich zusammenzureißen. »D-das ist doch wohl ein Scherz.«
Perillos rüttelte an der Klappe, aber sie öffnete sich nicht. Mit all seiner Kraft schlug er dagegen, aber sie war verriegelt und er war gefangen.
Perillos konnte spüren, wie es wärmer wurde.

Das Feuer brannte und Phalaris schnalzte mit der Zunge. »Hm, recht hat er gehabt. Es klingt tatsächlich wie ein brüllender Bulle.« Er wandte sich ab, den Soldaten zu. »Holt ihn da wieder heraus. Und dann … werft ihn von einer Klippe, oder so etwas. Jemanden, der verrückt genug ist, sich so etwas auszudenken, will ich nicht in meiner Nähe haben.« Und dann schritt er davon.

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