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geschrieben 2022 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 11.01.2022. Rubrik: Menschliches


Ein Zirkuspferd trägt keine Kittelschürze

Dies ist die Fortsetzung meiner Geschichte vom 9.12.2021 „Aber ich mag ihn auf einmal nicht mehr leiden“, in der es um Hermann und Käthe, einem älteren Ehepaar geht.

Gestern hatte sich Käthe in der Stadt völlig neu eingekleidet, nur um die Aufmerksamkeit von Hermann zu erringen, mit dem sie seit 53 Jahren verheiratet war, der sie aber kaum noch wahrzunehmen schien.
Die ganze Aktion war für die Katz, dachte sie, als sie nach einer unruhig verbrachten Nacht morgens sehr früh das Bett verließ. Hermann schlief noch. Er schnarchte laut und - so schien es ihr - besserwisserisch im Tonfall des Selbstgerechten.

Wie konnte er nur behaupten, sie sähe aus wie ein Zirkuspferd mit ihrem neuen Hut? Sie war gekränkt; darum hatte sie das Hütchen in den Müll geworfen.

Heute bedauerte sie das, schließlich war der Hut nicht billig. Obwohl sie bezweifelte, dass sie ihn jemals tragen würde, schlich sie leise nach draußen zur Mülltonne, um das gute Stück ein letztes Mal zu begutachten.

Sie fand es - ziemlich zerknittert, die weiße Feder geknickt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Käthe, bist du das?“

Käthe drehte sich um und erkannte durch den Schleier ihrer Tränen ihre Nachbarin und Freundin Irene Kleinschmidt.

„Du warst beim Friseur“, stellte diese fest, „ich habe dich kaum erkannt. Die neue schicke Frisur steht dir gut. Komm, lass dich mal anschauen!“ Irene packte ihre Freundin und drehte sie an den Hüften zu sich herum.

Das war zuviel für Käthe. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten und schluchzte leise vor sich hin. „Was ist denn los?“ fragte Irene erschrocken. Käthe hielt ihr das zerknitterte Hütchen hin. „Das ist doch nicht schlimm. Das kriege ich schon wieder hin. Kein Grund zum Weinen“, tröstete Irene. Sie fand es etwas übertrieben, wegen eines ramponierten Hutes so herzzerreißend zu schluchzen. Aber das sagte sie ihrer Freundin nicht. Stattdessen schlug sie vor: „Komm mit zu mir, wir trinken eine schöne Tasse Kaffee. Danach biege ich dir dein Hütchen glatt.“

Erst als beide in Irenes gemütlichem Wohnzimmer bei einer Tasse Kaffee Platz genommen hatten, erzählte Käthe die ganze Geschichte. Irene begriff, dass es nicht das Hütchen war, um das Käthe weinte, sondern dass ihr Problem HERMANN hieß.

„Du bist zu gutmütig“, sagte sie leise, „du solltest dein Leben nicht nach Hermann ausrichten.“

Beide saßen eine Weile schweigend da. Dann nahm Irene den zerknitterten Hut und verschwand in ihrem Näh- und Arbeitszimmer. Als sie zurückkam, sah dieser wieder manierlich aus. Irene hatte die geknickte Feder gekürzt und ein buntes Band daran befestigt. „Du setzt ihn jetzt auf und erklärst deinem Mann, dass Zirkuspferde nicht arbeiten. Deshalb müsse er sich ab jetzt selbst versorgen. Schließlich warst du lange genug sein Ackergaul. Er selbst habe dir die Augen geöffnet. Zirkuspferde tänzeln durchs Leben und lassen sich bewundern; aber sie arbeiten nicht.“

Käthe schaute sie zweifelnd an, doch irgendwie gefiel ihr die Idee. Wie würde Hermann auf eine solche Ansage reagieren?

Wieder zu Hause, zog Käthe sich um, Kittelschürze aus, die gestern gekauften Klamotten an. Dann setzte sie das Hütchen auf und ging ins Wohnzimmer, wo Hermann im Bademantel vor dem Fernseher saß und darauf wartete, dass sie ihm das Frühstück bereitete. Das Morgenmagazin war gerade zu Ende.
So früh war es also noch, dachte Käthe, erst kurz nach 9:00 Uhr. Sie musste heute morgen wahnsinnig früh aufgestanden sein.

„Wie siehst du denn aus?“ knurrte er mürrisch, um gleich danach zu fragen: „Willst du mich verhungern lassen?“

„Auf keinen Fall“, antwortete sie, „ich will nur deine Selbstständigkeit fördern. Du darfst dir dein Frühstück selber machen. Denn ich bin, wie du gestern gesagt hast, ein Zirkuspferd, das nicht arbeitet, sondern sich schmückt und tänzelnd durchs Leben geht.“ Sie machte ein paar unbeholfene Tanzschritte, so gut wie es eben möglich war mit den neuen unbequemen Schuhen.

Hermann starrte sie fassungslos an. „Du hast den Verstand verloren. Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Und ob es mir ernst ist“, antwortete sie.

„Los, hör auf zu spinnen und mach endlich Frühstück“, sagte er; sie konnte ihm seinen Ärger ansehen. Doch sie blieb tapfer.
„Nein, das musst du selber machen, ich bin viel zu schick angezogen.“

„Dann zieh endlich deine Kittelschürze an“, tobte er.
„Ein Zirkuspferd trägt keine Kittelschürze“, beharrte sie.

Er lief wutentbrannt aus dem Wohnzimmer, zog sich an und verließ das Haus. Käthe zuckte zusammen, als die Haustür krachend ins Schloss fiel. Trotzdem: Sie fühlte so etwas wie Stolz, sich ihm widersetzt zu haben.

Hermann machte sich wütend auf den Weg zur einzigen Gaststätte und Pension im Ort, die von Gerd Krause, dem Sohn eines früheren Arbeitskollegen, geführt wurde. Dort angekommen, bestellte er einen Strammen Max und einen Pott Kaffee zum Frühstück. Danach ging er keineswegs nach Hause, zu groß war sein Frust. Er trank erstmal ein kühles Bier; bei dem einen blieb es nicht.

Schließlich fragte er Gerd, den Wirt, ob er ein freies Gästezimmer für ihn hätte.

„Wieso das?“ wollte Gerd erstaunt wissen, „ist Käthe verreist?“

Hermann stöhnte laut und vernehmlich: „Nein, sie ist völlig übergeschnappt. Sie bildet sich ein, sie sei ein Zirkuspferd.“

Käthe hielt sich währenddessen zu Hause auf. Nachmittags war Irene da, die sie weiterhin darin bestärkte, Hermann einen Denkzettel zu verpassen. Als Irene nach Hause gegangen war, ließ Käthe den Tag Revue passieren. Einerseits hatte sie ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber, andererseits hatte sie heute etwas getan, was sie sich selber nicht zugetraut hatte. Und das stärkte ihr Selbstbewusstsein! Es war bald Mitternacht; Hermann war noch nicht nach Hause gekommen. Gut so! Vielleicht half dieser räumliche Abstand, seinen Blickwinkel auf sie zu überdenken.

Sie dagegen richtete ihren Blick auf das Bücherregal im Wohnzimmer. Wie lange war es her, dass sie zum letzten Mal ein Buch gelesen hatte? Willkürlich griff sie eins heraus, schlug es ebenso willkürlich auf und landete bei Hermann Hesse. „Immer diese Hermänner!“ dachte sie beinahe belustigt und las unter anderem:

„….Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben….“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Ohnelly am 30.03.2022:
Kommentar gern gelesen.
Toll dass du eine Fortsetzung geschrieben hast. Ich kann mich supergut in Käthe einfühlen. Klasse Freundin, übrigens!

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