Veröffentlicht: 05.01.2022. Rubrik: Menschliches
Geburtstagsüberraschung
Heute war sein 50. Geburtstag. Genau genommen gestern, denn die Uhr zeigte bereits ein paar Minuten nach Mitternacht. Die letzten Gäste waren gerade gegangen. Nur Kerstin war noch da. Er hörte sie in der Küche hantieren, um die Spuren seiner Party zu beseitigen. Kerstin, 20 Jahre jünger als er selbst, war der wichtigste Mensch in seinem Leben geworden.
Er hätte nie geglaubt, dass er jemals wieder so lieben könne, nachdem Inge ihn vor fast 10 Jahren verlassen hatte. Er hatte ihren Ansprüchen nicht genügen können, weder finanziell noch sonst irgendwie. Stets verglich sie ihn mit anderen Männern, die angeblich mehr aus sich machten, die sportlicher waren, die ein repräsentatives Auto fuhren, die die Karriereleiter hochkletterten und so weiter.
Eines Tages, als sie nach oben schaute, hatte sie wohl ganz hoch auf jener Leiter den Mann ihrer Träume entdeckt und das gemeinsame Haus verlassen, um mit diesem Mann neu anzufangen.
Er hatte sehr darunter gelitten, dass sie ihn verlassen hatte. Er hatte lange gehofft, sie würde zu ihm zurückkehren, doch das passierte nicht. Als die Scheidung durch war, hatte er sich in seine Arbeit vergraben und glaubte, der Frauenwelt endgültig abgeschworen zu haben.
Bis Kerstin in sein Leben trat. Sie arbeitete in der gleichen Firma wie er. Dort hatte er sie lange nicht wahrgenommen, bis ein gemeinsames Projekt sie zunächst arbeitsmäßig und dann auch persönlich zusammenbrachte. Ihr ruhiges ausgeglichenes Wesen hatte es ihm angetan, obgleich er meinte, sie sei viel zu jung für ihn. Nichtsdestotrotz, sie hatte ihn ermuntert, mal wieder Freunde einzuladen und seinen Geburtstag zu feiern, was er die letzten Jahre nicht mehr getan hatte.
Kerstin hatte ihn sehr bei der Vorbereitung seiner Party unterstützt. Sie hatte gekocht und gebacken, Salate hergerichtet und alles, was sie nicht selber schaffte, bei einem Lieferservice bestellt. Die Party war ein voller Erfolg.
Trotzdem hatte er in den letzten Tage das Gefühl gehabt, dass sie ihm auswich. Sie war zwar unaufhörlich mit den Vorbereitungen zu seinem Geburtstag beschäftigt, er vermisste jedoch das Gefühl der Nähe, das sonst zwischen ihnen herrschte. Als wolle sie ihm etwas mitteilen und wisse nicht wie. Vielleicht wollte sie nur noch seinen Geburtstag hinter sich bringen und dann mit ihm Schluss machen? Weil der Altersunterschied sie störte, jetzt, wo er damit kein Problem mehr hatte.
Er stand vom Sofa auf und lauschte. In der Küche war es ruhig geworden. Er drehte sich zur noch offenen Terrassentür um, trat hinaus und schaute in den nun dunklen Himmel.
Plötzlich stand Kerstin hinter ihm. „Ich muss dir was sagen“, flüsterte sie. „Ja, ich weiß,“ antwortete er, „ich bin dir zu alt.“ „Du bist schrecklich alt“, lachte sie, „aber das brauche ich dir ja nicht zu sagen.“
Dann stammelte sie etwas unbeholfen: „Ich bin schwanger.“ Er glaubte, sich verhört zu haben. Erst als er die Tragweite dieser Worte begriff, nahm er sie in die Arme. „Das ist doch toll! Das ist das schönste Geburtstagsgeschenk, das du mir machen konntest.“
Sie seufzte erleichtert. „Du freust dich also wirklich?“ „Klar“, sagte er, auch wenn er niemals damit gerechnet hatte, in seinem Alter noch Vater zu werden. Der Gedanke, selber Vater zu werden, überwältigte ihn, seine Gedanken gingen zurück in die eigene Kindheit. Damals hatte er oft mit seinem Vater auf der Terrasse gestanden und durch ein Teleskop die Sterne betrachtet. Sein Vater hatte ihm beigebracht, wie sie hießen, aber er hatte das alles vergessen. Er kannte nur noch den Großen Wagen. Er musste diese Kenntnisse unbedingt auffrischen, um sie an sein eigenes Kind weitergeben zu können.
Kerstin lachte, als er ihr das erzählte. „Lass es doch erst einmal zur Welt kommen“, sagte sie, „lass es sich erst einmal auf der Erde zurechtfinden, dann kann es immer noch in den Himmel gucken. Schau doch, wie dunkel der Himmel heute ist. Es ist kein einziger Stern zu sehen. Außerdem ist es kühl geworden.“
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer. Er war viel zu aufgekratzt, um schlafen zu können. Er dachte darüber nach, was er dem Kind noch beibringen könne außer der Astronomie: Basteln, Zeichnen, Fußballspielen, Fahrradfahren, Schwimmen und, und, und, und….
Plötzlich fiel ihm etwas Naheliegendes ein und er fragte Kerstin: „Wollen wir heiraten, jetzt wo wir Eltern werden?“