Veröffentlicht: 02.01.2022. Rubrik: Menschliches
Schwieriges Rentnerdasein
„Die werden froh sein, dich zu sehn,“ sagte Ella und schaute ihn aufmunternd an. Bernhard hob abwehrend die Arme. „Was soll ich da? Die haben doch keine Zeit für mich!“ antwortete er unglücklich. Ella blieb hartnäckig: „Du warst der beste. Du wirst ihnen heute noch gute Tipps geben können.“
„So wie du auch mir andauernd Ratschläge gibst,“ dachte sie grimmig, behielt aber nach außen ihren aufmunternden Tonfall bei. „Versuch es doch mal. Du wirst sehen, die freuen sich ganz bestimmt.“
Ella war Anfang 50, sie hatte sehr jung den 15 Jahre älteren Bernhard geheiratet und ihren Job an den Nagel gehängt, nachdem sie zwei Kinder zur Welt gebracht hatte. Die waren inzwischen aus dem Haus, so dass sie sich die letzten 15 Jahre fast nur noch um sich selbst zu kümmern brauchte. Ihr Tagesrhythmus war abwechselnd geprägt von Friseurbesuchen und Kosmetikbehandlungen, Massageterminen und Yogakursen. Oder sie traf sich mit ihren Freundinnen bei Kaffee und Kuchen im Café. Geldsorgen hatte sie nie. Denn Bernhard war immer sehr großzügig, sie konnte frei über sein Geld verfügen.
Es war ein schönes Leben, das leider abrupt endete, als Bernhard in Rente ging. Von nun an war er von morgens bis abends zu Hause. Ella fühlte sich beobachtet.
„Wohin gehst du?“ fragte er, sobald sie ihren Mantel überzog.
Warum zum Friseur? Deine Frisur sitzt doch prima! Zur Kosmetik? Du siehst doch gut aus, das brauchst du nicht! Zur Massage? Das kann ich doch machen! Yoga? Was ist das denn? Café? Vielleicht backst du mal selber was.
Plötzlich achtete Bernhard im Haus auf Dinge, die ihn früher nicht interessierten. Es müssten mal wieder Fenster geputzt werden, Staub geputzt werden, Bettwäsche und Handtücher gewechselt werden, die Topfpflanzen gegossen werden usw. Sein Talent bestand darin, es immer kurz vorher zu sagen, wenn sie gerade mit der jeweiligen Arbeit beginnen wollte. Das machte sie innerlich aggressiv und wütend.
Tausendmal hatte sie den Tag seines Renteneintritts schon verflucht, tausendmal hatte sie ihn zurück in sein Büro gewünscht. Doch sie flippte ihm gegenüber nicht einfach aus, sondern versuchte ihn zu überreden, öfters seine alten Kollegen an ihrem Arbeitsplatz zu besuchen, die sich ganz bestimmt freuen würden, ihn wiederzusehen, weil sie die Ratschläge eines Rentners zu schätzen wüssten.
Einmal hatte sie ihn so weit. Er ging hin und kam frustriert zurück. Niemand habe Zeit für ihn gehabt, berichtete er. Es sei ganz hektisch zugegangen.
Ella gab nicht auf „Versuch es doch nochmal! Nicht jeder Tag ist so voller Hektik.“ Und wie ein Mantra wiederholte sie: „Die sind froh, dich zu sehen! Bestimmt!“
Doch Bernhard blieb bei seinem Argument, er würde seine ehemaligen Kollegen nur von der Arbeit abhalten. Außerdem fand er es inzwischen ganz angenehm, in Ruhe morgens frühstücken zu können und die Zeitung zu lesen. Auch glaubte er, ein Auge darauf haben zu müssen, dass im Haushalt alles rund lief.
Dann kam die Einladung zur Feier des 25jährigen Dienstjubiläums seines Kollegen Herbert Krause. Er ging selbstverständlich hin und seine Kollegen freuten sich tatsächlich ihn wiederzusehen. Sie hatten heute ganz viel Zeit und fragten ihn, wie ihm das Rentnerdasein bekomme.
Bernhard fühlte sich pudelwohl. Er erzählte, wieviel Zeit er nun zum Frühstücken und Zeitunglesen habe. Und dass er ein bisschen auf seine Frau aufpassen müsse, damit sie im Haushalt alles richtig mache.
„Hat sie denn vorher alles falsch gemacht?“ fragte Herbert. „Das nicht. Aber man kann doch alles optimieren,“ antwortete Bernhard etwas nachdenklich und wenig überzeugend. Die Kollegen lachten.
„Meine Frau würde ausrasten,“ sagte einer und ein andrer bemerkte, dass das ein Zeichen für Langeweile in Bernhards Leben sein: „Du musst dir ein eigenes Hobby suchen.“
Dann mischte sich Herr Wiegand, der Chef der Firma, ein. Wenn er wolle, könne er sich zu seiner Rente etwas hinzuverdienen. Ein paar Stunden in der Woche für ein Extra-Taschengeld von 450,00 Euro. Einen so erfahrenen Kollegen könne er gut gebrauchen, gerade jetzt, wo auch einige andere Mitarbeiter bald aus Altersgründen ausscheiden und neue Leute eingearbeitet werden müssten.
Er sagte zu. Er war überglücklich, wieder im Betrieb, wenn auch nur vormittags, arbeiten zu können. Was aber würde Ella dazu sagen?
Ella sagte nichts. Sie war noch glücklicher als er. Sie konnte ihre Hausarbeit wieder ohne Bernhards Kommentare einteilen und hatte mehr Zeit für ihre eigenen Unternehmungen, die Bernhard durch seinen Nebenjob gut und gern finanzierte.