Veröffentlicht: 20.10.2024. Rubrik: Total Verrücktes
Ein erbärmlicher Autor
„Sind Sie nicht schon seit ein paar Jahren tot?“, fragte der Schwertschlucker kauend. Ein paar Metallteile hingen ihm am Mundwinkel.
„Solange ich rauche, lebe ich noch“, antwortete Helmut Schmidt.
„Irgendwas stimmt hier nicht“, meldete sich die Ballerina zu Wort. Dann drehte sie eine weitere Pirouette.
„Ja, die ganze Situation ist ein bisschen seltsam“, antwortete der Schwertschlucker hustend. Offenbar waren Teile des letzten Schwertes in seine Atemwege geraten. „Ein Altkanzler, eine Ballerina, ein Schwertschlucker und ein Idigener...“
„Ich bin ein Indianer“, sagte derselbe. „Und stolz darauf.“
„Also gut, ein Indianer in komplettem Federschmuck und dann noch dieses Wesen hier...“
„Ich bin ein Schrunz“, antwortete die glibbernde Kreatur durch seinen Schrumpfsack.
„Sie sollten die Schwerter nicht wirklich schlucken“, warnte die Ballerina. „Kein Schwertschlucker macht das so.“
„Und wenn Sie nicht die ganze Zeit herumtanzen würden, dann könnten wir uns auch vernünftig mit Ihnen unterhalten“, konterte der Schwertschlucker.
„Ich halte das alles für einen schlechten Witz“, hörte man den Altkanzler husten. „Wie sind wir überhaupt in diesen kargen Raum gekommen?“
„Ich kann mich nicht erinnern“, meinte der Schrunz. Nachdenklich färbten sich seine Schuppen blau.
„Ich kenne euch überhaupt nicht“, sagte die Ballerina, während sie ein Bein nach hinten streckte und den Oberkörper nach vorne beugte.
„Ich habe überhaupt keinen Namen“, grübelte der Schwertschlucker.
„Ich auch nicht!“ Die Ballerina vollführte einen Jeté Sprung.
„Auf meinem Planeten gibt es überhaupt keine Namen“, die Fühler des Schrunz wackelten. „Wir sondern stinkende Sekrete aus, um uns zu identifizieren.“ Eine gelbe Wolke trat aus seiner Kloake aus.
„Verdammt!“ Helmut Schmidt zündete sich eine neue Menthol-Zigarette an, um den Geruch zu übertrumpfen.
„Ich heiße Detlef“, brachte sich der Indianer ein.
„Ich fühle mich so fremdbestimmt“, meinte die Ballerina. Sie hüpfte auf und ab wie auf einem Trampolin. „Schaut mich nur an. Das ist schon gar kein Tanzen mehr.“
„Wie eine Puppe in einem Kinderspiel“ Der Schwertschlucker führte einen Säbel in den Mund und fing an zu kauen.
„Nein, kein Kinderspiel“, hörten die anderen die Rauchwolken von Helmut Schmidt sagen. „Dann wäre ich nicht hier. Kein Kind spielt mit Helmut Schmidt Puppen.“
„Und ich würde keine Debatten darüber führen, ob man mich als indigen oder als Indianer bezeichnet“, meinte Detlef.
„Wer auch immer für unsere Situation verantwortlich ist“, sagte die Ballerina während ihre Foutté Drehung. „Diese Person ist schon ein paar Jahre älter. Ein alter weißer Mann vielleicht.“
Helmut Schmidt nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. „Ein schlechter Autor. Davon sind mir schon so einige begegnet.“
„Wir sind also die Protagonisten einer Geschichte?“ Die Ommatidien der Facettaugen des Schrunz zogen sich nachdenklich zusammen.
„Einer sehr schlechten Geschichte“, keuchte Helmut Schmidt.
„Ein Autor in den letzten Zuckungen seiner Kreativität. Hugh, ich habe gesprochen!“
„Vielleicht gelingt uns ein Dialog mit unserem Peiniger?“, grübelte Helmut Schmidt.
„Wie wäre es mit einem Zeichen? So wie damals der brennende Busch in der Bibel?“, murmelte der Schwertschlucker.
„Ich kann nicht mehr tanzen. Was zu viel ist, ist zu viel.“ Die Ballerina ging in Flammen auf.
„Ich bin stolz, in dieser großartigen Geschichte mitzuspielen!“ Die Schleimdrüsen des Schrunz waren weit geöffnet.
„Ja, was für ein toller Autor, der da für uns schreibt“, antwortete der Schwertschlucker.
„Darauf sollten wir alle eine rauchen“ Helmut Schmidt drehte seinen Rollstuhl vor Freude eine Runde im Kreis.
„Bei Manitu, wir sollten uns glücklich schätzen.“
Aber mal ehrlich: Was muss das für ein erbärmlicher Autor sein, der sich von seinen eigenen Protagonisten feiern lässt?