Veröffentlicht: 09.10.2021. Rubrik: Kürzestgeschichten
Aufgelegt
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Ein ganz normaler Arbeitstag. Die Post wird geöffnet, sortiert und abgearbeitet. Zwischendurch wird bei den Kollegen nachgefragt, wie das so ist. Wir sitzen zu dritt, alles Frauen, in einem Büro, das tun die meisten hier. Wir arbeiten sowohl versiert und fleißig als auch im Team. Zwischendurch klingelt dann mal das Telefon. Nervig ist es lediglich, wenn wir alle gleichzeitig telefonieren, muss aber manchmal sein. Es ist ein schöner heller Raum, mit einem großen Fenster, der auch mal einen Blick ins Grüne zulässt. Gegenüber ergießt sich ein schöner, gut angelegter Park mit altem Baumbestand.
Gerade schaue ich durch das Fenster, da ich über einen komplizierten Sachverhalt nachdenke. Unterbrochen wird mein erster Gedankengang durch das Klingeln des Telefons meiner Kollegin zur Linken. „Ja Sonja, was gibt’s denn?“ Sie grinst. „Na dann stell mal durch.“ Schweigen, sie klopft mit dem Bleistift auf den Tisch. „Oh hallo, wie kann ich Ihnen helfen?“, flötet Angelika in die Muschel. Meine Kollegin stellt den Lautsprecher an. Schweres Atmen, leichtes keuchen und das säuseln einiger unflätiger Worte. „Entschuldigung, ich muss Sie da unterbrechen“, meint sie unvermittelt, „das ist nicht mein Gebiet. Ich stelle Sie dann mal durch zu meiner Kollegin. Bitte bleiben Sie in der Leitung.“ Angelika drückt auf den Knopf zum Weiterleiten. Mit dem Bleistift deutet sie auf meine Kollegin Jenny, diese nickt. Wieder klingelt das Telefon, diesmal bei Jenny. Sie holt Luft, atmet aus und wieder ein, nimmt den Hörer ab. „Guten Tag, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ Auch Jenny betätigt die Lautsprechvorrichtung. Pause, schweres Atmen, leichtes Keuchen und das Wispern von unanständigen Worten. „Entschuldigung“, meint Jenny, „ich kann Sie fast gar nicht verstehen. Bitte sprechen Sie doch lauter.“ Jenny grinst, kneift sich in den Arm. Schweigen. Angestrengtes Keuchen, lautes Atmen, schlüpfrige Laute. „Ja, schon besser, aber noch nicht so ganz eindeutig. Können Sie den letzten Satz noch einmal wiederholen?“ Jenny hält sich eine Hand vor den Mund, um ihre Augen bilden sich Lachfalten. Ich reibe mir schon mal die Hände, ein grinsen kann ich mir leider auch nicht verkneifen. Gespannt lauschen wir alle der Stimme. Angestrengtes lautes Keuchen, deutliches Ausatmen sowie eine Anzahl säuischer Wörter. „Ah, jetzt habe ich verstanden“, antwortet Jenny, „Da sind Sie leider bei mir völlig falsch. Da stelle ich Sie mal durch in die richtige Abteilung. Augenblick bitte und bleiben Sie in der Leitung.“ Jenny drückt den Knopf für die Gespräch Weiterleitung. Beide sehen mich an. „Okay, ich bin bereit.“ Jenny legt auf, mein Telefon klingelt. Ich strecke meinen Arm aus, greife nach dem Hörer und sage fröhlich: „Hallo.“ Es knackt in der Leitung. „Da hat wohl jemand aufgegeben“, stelle ich fest lege den Hörer wieder auf und widme mich meinem komplizierten Sachverhalt.