geschrieben 1988 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 13.03.2025. Rubrik: Grusel und Horror
Der Eingang zur Hölle
Zu den schönsten Erinnerungen meiner Jugendzeit gehören zweifellos die Bergwanderungen, die ich zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Cousin im Riesengebirge unternommen habe. Der Großvater meines Cousins war nach dem Zweiten Weltkrieg in Oberschlesien geblieben, während mein Opa in die Amerikanische besetzte Zone Deutschlands gelangen konnte und dort im Ruhrgebiet ein kleines Handwerksunternehmen gründete.
Der Vater meines Cousins, der Fritz hieß, bewirtschaftete im heutigen Polen ein großes Landgut und ich verbrachte regelmäßig meine Schulferien bei ihm. So auch im Sommer 1976. Es hätte ein herrlicher, warmer Sommer werden sollen. Doch meine Haare zeugen davon, dass damals etwas Ungeheuerliches passiert sein muss. Meine Haare sind seit jenem Urlaub schneeweiß. Ich zählte damals gerade 16 Jahre!
Gerade begann draußen der Tag zu erwachen; die Grillen fingen an zu zirpen und die Vögel begrüßten laut tirilierend die Sonne, die schüchtern hinter den Wipfeln des Riesengebirges hervor lugte und ihre ersten wärmenden Strahlen sandte, die in minutenschnelle den zähen Bodennebel vertrieben. Ich pulte mir ein paar Krümel Schlafdreck aus den Augen, rekte meine Knochen und begab mich zu dem Waschbecken in der Ecke des Raums. Nachdem ich mich gewaschen hatte, ging ich nach unten in die große Küche.
Fritz saß auf einer langen Bank am Tisch und kaute hingebungsvoll mit vollen Backen. „Na endlich,“ murrte er mit vollem Mund zum Gruß. Ohne hin zu sehen, griff er mit der rechten Hand zielsicher nach der Kaffeetasse, mit der linken verscheuchte er energisch ein paar Katzen, die zusammengerollt neben ihm auf der Bank schliefen. „Onkel Dieter will heute mit uns in das Riesengebirge, auf die Schneekoppe. Dort oben soll es ein sehr gutes Restaurant geben. Und wenn die Sicht gut ist, kannst du bis nach Deutschland gucken.“ „Alles klar,“ sagte ich freudig, dann frühstückten wir zu Ende. Ich war ein wenig verwundert, welch riesige Mengen frisches, polnisches Brot in mich hinein passte. Aber das war nur zu verständlich, allein die Luftveränderung machte einen wahnsinnigen Appetit. Gerade hatte ich den letzten Bissen Brot hinunter geschluckt, da wurde die Tür auf gestoßen.
Ein stattlicher Mann von ungefähr 45 Jahren , der den Türrahmen mit seinen breiten Schultern fast auseinander zu drücken schien, sagte knapp: „Ich bin soweit, wollen wir aufbrechen?“ Gleichzeitig nickte er zum Gruß mit dem Kopf. Es war mein Onkel Dieter. An seine knappe, schroffe Art hatte ich mich damals, als wir uns kennen lernten, nur schwer gewöhnen können.
Doch unter seiner rauen Schale steckte ein weicher, fast sentimentaler Kern. Der kam oft zum Ausdruck, wenn eines seiner Tiere krank war. Einmal war ich ohne zu Klopfen in sein Arbeitszimmer eingetreten, zu dieser Zeit war gerade eine seiner Kühe beim Kalben gestorben. Er hatte in seinem schweren Ledersessel gesessen und lautlos mit zuckenden Schultern geweint. Ich war leise wieder hinaus gegangen und hatte die Tür vorsichtig hinter mir geschlossen. Seit diesem Tag erfüllte mich eine tiefe Zuneigung zu ihm. „Wir kommen schon,“ antwortete Fritz in meine Gedanken hinein,
Wir fuhren in einem Fiat Polski etwa 1 ½ Stunden, dann hatten wir das Riesengebirge erreicht, wo der Sage nach der Riese Rübezahl sein Zuhause hat. Auf der Fahrt wurde nicht gesprochen, ich genoss still den Anblick der Landschaft. Langsam machte der steile Anstieg dem schwachen Motor des Fiat zu schaffen, mein Onkel fuhr permanent im zweiten Gang, damit das Auto die Steigung bewältigte. Plötzlich bremste er scharf. „Curva“, fluchte er auf polnisch. Eine umgestürzte Fichte versperrte die Straße und mein Herz sank. „Müssen wir jetzt umkehren?“ fragte ich enttäuscht. „Nein, nein,“ Onkel Dieter hatte den Wagen auf einen schmalen Seitenweg in den dichten Wald gesteuert. „Ich kenne noch einen Feldweg durch den Wald. Das dauert zwar etwas länger, aber wir kommen wenigstens heute zum Ziel. Haltet euch fest, der Weg ist nicht gut!“ Das Auto quälte sich Meter für Meter den steilen Weg hinauf.
„Es ist aber ganz schön finster geworden! Sind die Baumkronen so dicht?“ wandte ich mich an meinen Onkel. „Nein, es hat sich zugezogen,“ erklärte er mir. „Hoffentlich fängt es nicht an, zu regnen. Einen Erdrutsch können wir jetzt nicht auch noch gebrauchen!“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, rutschte das Auto plötzlich seitlich. Es krachte laut, Glas splitterte und der Motor verstummte. Wir waren seitlich gegen einen Baum geprallt. Sofort erfüllte penetranter Benzin-Geruch den Fahrgastraum.
„Los, raus hier!“ Die Stimme von Onkel Dieter war noch immer fest und ruhig. 'Er weiß, dass das Auto jeden Augenblick in die Luft fliegen kann, aber er will wohl keine Panik machen,' dachte ich. Fritz hatte an seiner Seite die Tür auf gedrückt, auch mein Onkel versuchte, seine zu öffnen. Meine Tür war völlig verzogen und klemmte hoffnungslos. Deshalb rutschte ich ebenfalls durch die Türöffnung an Fritz Seite hinaus. Ich landete auf ihm und unwillig stieß er mich weg.
Just in diesem Moment explodierte der Wagen. „Vater!“ schrie Fritz und versuchte zum Auto zu kriechen. Die enorme Hitze aber hielt ihn auf. Fast, als wolle der Himmel einen Löschversuch unternehmen, begann es, wie aus Kübeln zu gießen. „Komm, Fritz, wir müssen uns irgendwo unter stellen!“ schrie ich meinen Freund an, der wie paralysiert auf das Feuer starrte. In dem brennenden Auto-Wrack begann das Feuer langsam den Körper seines toten Vaters auszutrocknen, der sich darauf hin hinter dem Steuer aufrichtete, als wollte er der Hitze entkommen.
Halb stoßend, halb tragend, beförderte ich Fritz tiefer in den Wald hinein. Wie durch ein Wunder waren wir bei dem Unfall und der anschließenden Explosion nicht verletzt worden. Als es zu Regnen begonnen hatte, war es gleichzeitig schneidend kalt geworden. Ich klapperte mit den Zähnen, wie eine Klapperschlange mit dem Schwanz. „Da... Höhle...,“ stammelte Fritz und fuchtelte mit seinem steifen Arm vor meinem Kopf herum. Um ihn wieder zur Vernunft zu bringen, wollte ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen. Doch da ging mir auf, dass er vernünftig genug gewesen war, nach einem Unterstand für uns zu suchen, während ich blindlings hinter ihm her in den Wald stolperte. Er packte mich unsanft am Ohr und drehte daran meinen Kopf, damit ich in Richtung der Höhle schaute. Als auch ich sie erspäht hatte, änderte ich meine Richtung und stolperte darauf zu.
Der Eingang zu der Höhle war keine achtzig Zentimeter breit, dafür aber bestimmt drei Meter hoch. Es war eher ein Riss in dem felsigen Bergmassiv. „Mensch, da haben wir ja Glück im Unglück gehabt!“ Fritz tat das einzig Richtige in dieser Situation, er verdrängte den furchtbaren Tod seines Vaters und dachte an sein eigenes Leben. „Ja,“ meinte ich, „versuchen wir mal, ein kleines Feuerchen zu machen, sonst Frieren wir hier drin fest!“ Ich fand meine Idee gut und hielt schon ein Einweg-Feuerzeug in der Hand. „Und was willst du verbrennen, ein Paar Felsbrocken?“ Er deutete spöttisch in die Runde.
Verdammt, da war wirklich nichts Brennbares, aber diesen Seitenhieb konnte ich nicht auf mir sitzen lassen! „Die brennen bestimmt nicht so gut, ich dachte, wir verbrennen deine Hose.“ Aber diesen lahmen, verbalen Konter-Versuch hörte er schon nicht mehr, er war bereits tiefer in die Höhle vor gedrungen. „Hee, komm doch mal her, hier ist es schön warm,“ klang seine Stimme gedämpft an mein Ohr.
Es war mir etwas unheimlich, so allein in der Dunkelheit, also machte ich mich auf den Weg in Richtung seiner Stimme. Ich ging über den glatten Felsboden und umrundete einen Felsvorsprung, als Fritz etwas rief. Kaum war ich um die Felsnase gebogen, da bekam ich einen starken Stoß gegen die Stirn. Vor meinen Augen wallten rote Nebel auf, in denen Sternchen tanzten.
„Was hast du gesagt,“ nuschelte ich, halb betäubt. „Ich sagte, du sollst dir nicht den Kopf stoßen, da hängt ein Stalaktit im Weg rum. Aber das hast du ja bereits gemerkt, nicht wahr?“ Ein schwaches Lächeln zeichnete sich im Halbdunkel der Grotte auf seinem Gesicht ab. „Ja, Fritz, danke für die Warnung. Aber hier ist es wirklich schön warm, lass uns weiter gehen.“ Und wir bewegten uns tiefer in die Höhle.
Es war dunkel, aber trotzdem war ausreichend Licht da, dass wir die tückischen Spalten im Höhlenboden erkennen konnten. Dann machte ich eine Entdeckung, die mir beinahe den Atem verschlug. „Du, Fritz!“ Ich hielt ihn am Jackenzipfel fest. „Hm?“ Er drehte den Kopf fragend in meine Richtung. „Fritz, weißt du auch, woher dieses diffuse Licht kommt?“ Fragte ich ihn mit tonloser Stimme. „Klar,“ meinte er und deutete auf eine der Spalten im Boden. „Ja, aber...,„ verwirrt schaute ich ihn an. „Was, ja aber! Hier ist eben noch irgend etwas unter der Höhle und wir gehen jetzt gucken, was das ist. Du hast doch nichts anderes vor, oder?“ Er wartete meine Antwort nicht ab und verschwand um die nächste Ecke. Kaum war er verschwunden, hörte ich seinen lauten Schrei, der schlagartig verstummte!
Horror-Visionen begannen sich in meinem Kopf auszubreiten: Ich sah im Geiste, wie sich zwei knöcherne Hände um Stimmbänder schlossen und diese mit einem gewaltigen Ruck aus einem imaginären Hals rissen. Mir wurde übel und ich hastete Fritz hinterher. Als ich meine Schritte um den Felsvorsprung lenkte, trat ich ins Leere. Ungefähr zwei Sekunden dauerte mein Fall, dann schlug ich auf den harten Boden auf. Im nächsten Augenblick schrie auch ich schrill auf und wusste, warum Fritz Schrei so plötzlich abgebrochen war. Er stand vor mir in einem irrealen, nebligen Licht. Auf seinem Mund lag eine Hand, die aussah, als würde sie jemandem gehören, der schon mindestens 50 Jahre tot war. Die Gestalt, zu der diese Hand gehörte, sah auch nicht viel frischer aus.
Wo das Gesicht noch teilweise von Fleisch bedeckt wurde, war es grün bis braun verfärbt und runzelig. Eine Augenhöhle war leer, jedenfalls kam es mir auf den ersten Blick so vor. Ich konnte vor Entsetzen den Blick nicht von diesem Totenkopf nehmen und so sah ich, dass sich etwas Weißes in der Augenhöhle bewegte. Eine fette, voll gefressene Made! Ich warf den Kopf nach vorne und übergab mich schreiend. Dabei erhaschte ich einen Blick auf das andere, das linke Auge. Es hing an den Sehnerven bis auf die Oberlippe des Höllenwesens hinab. Auch auf meinen Mund hatte sich eine Hand gelegt, die bestimmt nicht appetitlicher ausschaute als die, die Fritz knebelte.
Das Grauen verlieh mir Kräfte, die ich nie in mir vermutet hatte. Ich jaulte auf und rammte meinen rechten Ellenbogen nach hinten, in die Richtung, in der ich den Magen dieses Viehs vermutete. Er grub sich tief in eine breiige, kalte Masse. Das Vieh löste seinen Griff und rülpste. Eine Welle derartigen Gestanks, wie ich ihn niemals zuvor gerochen hatte, schwappte in meine Nase! Ich steppte zur Seite und wirbelte herum. Ich musste den gleichen Weg zurück, den ich gekommen war. Ich drosch dem Wesen eine Faust auf den aus der Augenhöhle baumelnden Augapfel. Der zerplatzte unter der Wucht meines Schlages, eine eitrige Flüssigkeit spritzte mir ins Gesicht und ergoss sich auf meine Hand.
Während meiner Flucht zurück in die Höhle war ich so sehr voller Panik, dass ich nicht auf Felsvorsprünge achtete und mir den Kopf blutig stieß. Plötzlich waren auch Unmengen von spinnenähnlichen Tieren aufgetaucht, die versuchten, mich mit ihren klebrigen Netzen aufzuhalten! Endlich hatte ich den Höhlenausgang erreicht und stürzte verzweifelt brüllend in den Sonnenschein hinaus. Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen. Gehetzt sah ich mich um, dann machte ich mich auf den Heimweg. Mein Schritt stockte. Auf den Heimweg! Ich war hier nicht zu Hause, kannte keinen Menschen, beherrschte die fremde Sprache nicht und konnte nur mit einer Geschichte aufwarten, wie man sie in Groschen-Romanen für 80,- Pfennig lesen konnte. Weinend setzte ich mich am Waldrand auf einen Baumstamm. Ich musste mich wieder übergeben, als ich an die verwesten Gestalten dachte, auf die ich in der Höhle gestoßen war.
In meiner Hosentasche fand ich ein Päckchen Papiertaschentücher, das noch nicht total verschmutzt war. Meine Hose erweckte den Anschein, als wäre ich durch brackige, braune Kloake gewatet. Flüchtig säuberte ich sie, dann erhob ich mich mit zittrigen Knien und stolperte in die Richtung, in der ich die Zivilisation vermutete. Ich war etwa zwanzig Minuten gegangen, da erblickte ich eine Hütte. Innerlich jubelte ich auf und mir gelang es, meine gefühlt zentnerschweren Beine schneller zu bewegen. Direkt vor der Tür wurde mir schwarz vor Augen und ich fiel lang hin. Mein Kopf knallte laut vernehmlich gegen die Holztür und bevor ich vollends das Bewusstsein verlor, dachte ich sarkastisch: 'Jetzt hast du wenigstens höflich angeklopft!'
Als ich die Augen aufschlug, erblickte ich über mir die geschwärzten, dicken Balken einer alten Holzdecke. Es wäre wundervoll gewesen, wenn ich nicht sofort gewusst hätte, was passiert war. Aber die Erinnerung war erbarmungslos direkt wieder da und ich spürte erneut ein Würgen in der Kehle. Doch mein Magen war längst entleert, nur etwas Gallensaft stieg bitter in meiner Speiseröhre hoch. Eine ledrige, heiße Hand legte sich auf meine rechte Schulter.
Ich war mittlerweile gar nicht mehr entsetzt, sondern nur noch wütend auf diese Kreaturen, so schlug ich die Hand zur Seite und warf mich zurück. Gerade wollte ich entschlossen zum Angriff übergehen, da fiel mein Blick auf die Person, zu der diese Hand gehörte. Es war ein greiser, kleiner Mann mit gütigem Gesicht und strahlend blauen Augen. „Stoi, stoi“, murmelte er auf polnisch und hob abwehrend die Hände, mit den Handflächen nach oben. Mein Körper entspannte sich ein wenig und misstrauisch wanderte mein Blick zu meiner Kleidung. Die lag ordentlich zusammen gelegt auf einem, aus knorrigen Ästen roh zusammen gezimmerten Stuhl.
Ich blickte an mir hinunter und registrierte, dass ich völlig unbekleidet auf einem Fuder frischen Strohs lag. Ich war mit einer harten Wolldecke undefinierbarer Farbe zugedeckt gewesen, die ich bei meinem entsetzten Ruck nach hinten verloren hatte. Der alte Mann deutete auf einen wackeligen Tisch; der dazu gehörende Stuhl diente als Ständer für meine Kleidung. In meiner Nacktheit kam ich mir hilflos vor wie ein Kind, deshalb warf ich mir schnell meine Klamotten über.
Ich schaute wieder zu dem Tisch, auf dem ein Holzteller und eine Holzschüssel standen. In der Schüssel dampfte irgend etwas und neugierig ging ich hinüber, einige Stücke Fleisch lagen darin. Als ich sie sah, wurde ich von Hunger übermannt. Auch der Alte war an den Tisch getreten und legte sich ein Paket auf den Tisch, das aufklaffte und fünf oder sechs Fische entblößte. Als die Fische heraus rollten, machte sich schnell der Gestank nach fischiger Fäulnis im Raum breit. Meinen Gönner schien das nicht zu stören, er fraß sie. Ja, er fraß sie wirklich, schnaufend und gurgelnd stopfte er die vermoderten Fische in seinen zahnlosen Mund. Angeekelt schaute ich weg und jetzt richtete ich zum ersten Mal mein Blick genauer auf meinen Teller. Eine große Zunge lag darauf. Sie schien erst vor sehr kurzer Zeit einem Tier, ihrer Größe nach war es wohl ein Hirsch oder einem ähnlich stattlichen Paarhufer, heraus geschnitten worden zu sein, denn sie zuckte noch. Ganz so, als würde sie mir etwas sagen wollen! Bestürzt schaute ich wieder zu dem Greis mit den gütigen, blauen Augen. Doch der war nicht mehr da, jedenfalls nicht so, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
In seinen vormals gütigen, blauen Augen schien ein Höllenfeuer zu brennen, das sie nun bernsteinfarben und eiskalt blicken ließ. Geifer tropfte aus seinem Mund und seine Faust fuhr nach vorne, auf mich zu! Ich konnte mir nicht vorstellen, was er beabsichtigte. Sekunden später wusste ich es. Er wollte mich nicht schlagen, er hatte etwas zu mir herüber geworfen. Es klatschte mir warm und weich ins Gesicht und saugte sich dort fest. Mit einer reflexartigen Bewegung griff ich danach und riss es von meiner Wange. Ich schmiss es von mir und Sekunden später klebte es an der Holzwand gegenüber! Es war eine Made, wie ich sie in der Augenhöhle des Ungeheuers in der Höhle schon einmal gesehen hatte.
Ich warf mich gegen die Tür und rollte ins Freie. Ich blieb nicht lange liegen, sondern sprang auf die Füße und rannte panisch los! Irgendwie gelangte ich dann aus den Sudeten heraus in bewohntes Gebiet, wo ich auch bald mit der Polizei in Verbindung trat. Ich war stundenlang in dem Städtchen Kamienna-Gora herum geirrt, bevor Passanten auf mich aufmerksam geworden waren und der Miliz, der polnischen Polizei, übergaben. Zum Glück war ich direkt an einen höheren Beamten geraten, der auch recht gut deutsch sprach.
Natürlich hatte ich nichts von den haarsträubenden Geschehnissen erwähnt, die mich in diese prekäre Situation gebracht hatten. Erst als meine Eltern auf meinen Notruf hin sofort zu mir nach Polen geflogen kamen, konnte ich ihnen mein Herz erleichtern. Als sie meine weißen Haare sahen, die noch schwarz gewesen waren, bevor ich in den Urlaub startete, glaubten sie mir sofort, was ich berichtete. Die polnischen Behörden interessierten sich nicht besonders für das Autowrack und die verkohlte Leiche hinter dem Steuer. Für sie sah es wie ein Unfall aus und sie wollten sich keine Arbeit machen mit einer Sache, die keiner von ihnen so richtig spannend fand.
Heute fühle ich mich einigermaßen sicher. Zurück in der Bundesrepublik, bewohne ich jetzt mit 82 netten Menschen gemeinsam ein großes, modernes Haus mit riesigem Garten. Hier habe ich keine Angst mehr vor den Kreaturen aus der Höhle. Die sind weit weg, in den Sudeten. Ich bin hier in Deutschland. Einem netten Arzt habe ich erzählt, was damals im Urlaub passiert war und ich den Eingang zur Hölle entdeckt habe!
Ende

