Veröffentlicht: 18.05.2019. Rubrik: Historisches
Ein Treffen in den Neunzigern
Ende des vorigen Jahrtausends begann der Siegeszug der Handys. Bei manchen Mitmenschen dauerte es aber noch, bis sie sich an diese Geräte gewöhnt hatten.
Lisa saß in einem Café und wartete auf ihre ehemalige Klassenkameradin Bianca. Früher hatten sie viel miteinander unternommen, aber seit dem Schulabschluss vor sieben Jahren sahen sie sich nur noch selten. Dies lag auch daran, dass Bianca jetzt mit ihrem Freund Ewald – der trotz seines altmodischen Namens nur wenig älter war als sie – in einer Nachbarstadt lebte.
Zwanzig Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt erschien Bianca schließlich. „Tut mir schrecklich leid, aber mein Auto sprang nicht an, und Ewald war nicht da, und da musste ich mit dem Bus –“
Stirnrunzelnd unterbrach Lisa sie: „Hättest du denn nicht wenigstens anrufen können?“
Bianca schaute sie verwundert an. Dann fiel bei ihr der Groschen. „Ach ja! Ich vergesse immer, dass es heute Handys gibt. Und dabei habe ich sogar selber eins. Hat Ewald mir gekauft. Nur lasse ich es meistens in der Wohnung liegen. Ewald hat wohl tatsächlich recht, wenn er sagt, ich sei total schusselig. Darf ich dich als Wiedergutmachung einladen? Komm, wir gehen zur Kuchentheke.“
*
„So“, sagte Bianca, als beide sich mit Kaffee und Kuchen gestärkt hatten, „jetzt bin ich gespannt zu hören, warum du mich treffen wolltest.“
Lisa seufzte. „Ich habe ein Problem und wollte dich als meine Freundin fragen, was du dazu meinst. Ich habe mich in einen Mann verliebt.“
„Gratuliere“, sagte Bianca, „und wo ist das Problem? Ist er verheiratet?“
„Nein. Aber er lebt mit einer Frau zusammen.“
„Haben sie Kinder?“ – „Nein.“ – „Ist die Frau irgendwie auf ihn angewiesen?“ – „Auch nicht.“
„Nun“, meinte Bianca, „dann darfst du ruhig versuchen, ihn dir zu schnappen.“
Lisa strahlte.
*
Da Bianca noch einkaufen musste, verabschiedete sie sich bald. Lisa wollte noch eine Kleinigkeit essen, „dann brauche ich mir zu Hause kein Abendbrot zu machen.“
Als Bianca ins Freie trat, fiel ihr ein, dass sie ihren Schirm im Café vergessen hatte. Sie ging zurück und sah von hinten Lisa, die gerade ihr Handy ans Ohr presste. Beim Herannahen hörte sie sie sagen:
„Liebster! Alles hat geklappt. Leg ihr den Brief auf den Küchentisch und komm. Ich liebe dich, Ewald.“