Veröffentlicht: 18.03.2025. Rubrik: Unsortiert
Odyssee
Der Sachbearbeiter kehrte zurück zur Tür und vergewisserte sich, dass sie verschlossen war. Dann blickte er durch die Scheibe kurz zum Hausflur, er konnte niemanden sehen und kehrte zurück ins Büro.
Der Mann wartete an der Tür und bald setzten sie sich.
"Der Wohnungsmarkt ist derzeit leider sehr angespannt", sagte er. "Aber wir können Ihnen behilflich sein und ihnen eine Postadresse anbieten, aber keine Meldeanschrift. Eine Postanschrift ist möglich."
"Ich danke Ihnen", erwiderte der Mann.
"Ja."
"Eine Postanschrift ist gut, aber ich benötige auch eine Meldeanschrift."
"Die Postadresse können wir hier registrieren lassen", erklärte der Sachbearbeiter der Fachstelle für Wohnungssuchende.
"Die Postadresse ist wichtig, aber noch wichtiger ist die Meldeadresse", sagte der Mann.
"Keine Meldeadresse", erwiderte der Sachbearbeiter, stand auf, eilte zur Haustür des Büros, um sich zu vergewissern, dass sie verschlossen war und kehrte am Empfangstresen vorübergehend zum Büro ...
"Keine Meldeadresse."
Kurze Pause.
Der Mann schaute aus dem Bürofenster der Fachstelle für Wohnungsfindungen in Notfällen, sein Blick flog zum Lagerschuppen und dann zur Sonne.
Da war die Sonne am Himmel und in den vergangenen Jahren seine ganze Welt und volles Licht. Jetzt war es nicht mehr all seine Welt
Bald hörte er die Stimme des Sachbearbeiters, der ein Dokument für die Registrierung der Postadresse aus einem Aktenordner holte und es ihm hinüberreichte.
"Füllen Sie das aus und bringen Sie es Dienstag um 9 Uhr wieder ins Büro."
"Danke. Das werde ich "
Kurze Pause, dann sagte er:
"Der Immobilienmarkt ist derzeit leider sehr angespannt", wiederholte er. "Sie müssen etwas kämpfen, aber dann wird sich etwas ergeben."
"Es ist schon gut, dass sie für den Fall aller Fälle eine Wohnung bald vermitteln können. Das ist gut", erwiderte der Mann.
"Das können wir. Aber es ist da nicht gut, gar nicht so schön", erwiderte der Sachbearbeiter des Büro und beobachtete kurz das Gesicht und die Reaktion des Mannes. "Deswegen werden wir wohl eine kleine Wohnung finden oder ein Monteurzimmer."
"Das ist doch ein Weiterkommen und gut."
"Leider ist es mit den Bewohnern in der Unterkunft da gar nicht gut, eher sehr trostlos. Aber der Immobilienmarkt ist derzeit leider sehr angespannt in dieser Stadt und es ist besser als eine Übergangsstation wie im Waldweg, denn da kann man nicht dauerhaft bleiben."
Er nahm bald weitere Schreiben entgegen mit Wohngesellschaften und Wohnungsgebern in der Region.
"Sie müssen wissen", ergänzte er "Das hier und im Waldweg ist nur eine Übergangsstation oder Durchgangsstation."
"Sehen sie die beiden Personen da?"
Er folgte ihrem Blick und sah durch das Fenster des Büros, an einem der Schuppen, die beiden Männer.
Einer hatte seinen Fuß auf eine Holzbank gestellt, der andere trank ein Bier.
Der eine wird ins Gefängnis gehen.
Der andere schlief gestern hier, heute Nacht wird er im Freien schlafen.
Es ist nichts für durchweg.
"Der Immobilienmarkt ist sehr angespannt zur Zeit", hörte er.
Er hatte lange als Schichtleiter in einem Pharma- und Chemiebetrieb gearbeitet ehe dieser Konkurs ging und vieles sehr schnell ging mit der Aufhebung des Arbeitsvertrages und dem Mietvertrag.
Dann war er zur Wohnungshilfestelle für Notfälle gegangen.
Jetzt blickte er im Büro umher, sah eine Sachbearbeiterin die Tür aufschließen und eine andere Frau herein bitten und die Tür wieder verschließen.
"Der Immobilienmarkt ist derzeit sehr angespannt", wiederholte er.
Bald trat er wieder in das Treppenhaus und hörte die Bürotür der Fachstelle verschließen und trat auf die Straße, öffnete seinen Mantel wegen der starken, grellen Sonne am Himmel.
Da war die Sonne am Himmel und in den vergangenen Jahren seine ganze Welt und volles Licht. Jetzt war es nicht mehr all seine Welt, dachte er kurz. Aber mit dem weiteren Kampf würde es sich ergeben.
Bald ging er schnelleren Schrittes zum Zentrum, während die vorüber rauschenden Autos hörbar waren und zur Sonne blickte und weiter an den Kampf dachte.
von Deniz C. Kacan

