Veröffentlicht: 15.03.2025. Rubrik: Persönliches
Frau Karin, dürfen wir kommen
4 bezaubernde Vietnamesenmädchen aus dem Nachbarhaus hatten mich als „Tante adoptiert“. Sie warteten bereits am Fenster, wenn ich von der Arbeit kam und riefen „Frau Karin, dürfen wir kommen ?“ Natürlich durften sie. Ich liebte diese Kinder und fand es herrlich, wenn sie im Treppenhaus immer wieder „psst“ zischten und ihre Finger auf die Lippen legten, weil ich ihnen gesagt hatte, dass sie im Haus leise sein müssen. Der Weg in die 3. Etage war für die Jüngste, mit gerade einmal 3 Jahren, sehr beschwerlich. Die Zwillinge, mit 6 und die Älteste mit 9 Jahren taten sich da schon leichter, denn der Aufzug war für sie tabu.
Am Wochenende besuchte ich mit ihnen einen Abenteuerspielplatz, wo mir die 3-jährige Tam Anh zeigte, wie man auf den einzelnen Geräten spielt. „So, und jetzt Du“, sagte sie, nach jeder Vorführung. Ich genoss es. Ich durfte ohne Scham und vorwurfsvolle Blicke von Erwachsenen rutschen, schaukeln und balancieren. Herrlich. Nachdem die zuckersüße Tam Anh ihre Lektion an den Geräten beendet hatte, setzte sie sich mit einem Plastiksieb in den Sandkasten und siebte den Sand. Mit den Worten: „So und jetzt Du“, reichte sie mir das kleine Sieb. Ich nahm es mit einer Hand und siebte. Tam Anh zog ihre Sonnenbrille auf die Nasenspitze, blickte über die Brillengläser hinweg und schüttelte den Kopf. „Nicht so ! Mit drei Händen !“ rief sie und demonstrierte mit ihren zwei Kinderhändchen, was sie meinte.
Einmal besuchten wir zusammen den Tierpark Hellabrunn. Wir waren die Attraktion des Tages. Die Blicke der Besucher wanderten von mir zu den 4 mandeläugigen Mädchen und wieder zurück. Imaginären Fragezeichen standen den Betrachtern ins Gesicht geschrieben. Und ein kleiner Junge rief laut: „Mama, Mama. Da sind ja zwei gleiche“, als er die Zwillinge sah.
Wir hatten eine schöne Zeit, bis zum Tag des Mauerfalls. Die Älteste der Mädchen besuchte mich alleine und erzählte mir traurig, dass ihre Eltern ein Restaurant in Dresden gekauft hätten und die ganze Familie bald dorthin ziehen würde. Der Abschied fiel mir schwer.
Minh schrieb mir noch einige Male und besuchte mich, nachdem ihre Eltern sie in einem Internat am Chiemsee angemeldet hatten. Ab da brach der Kontakt ab. Dann kam die Zeit der digitalen Medien: Facebook, Instagram und Co und ich erhielt folgende Nachricht :
Liebe Karin, jetzt bin ich baff! Ich freu mich riesig, dass ich dich gefunden habe. Ich habe oft an dich gedacht ( meine Geschwister waren zu klein). Wie ist es dir ergangen? Ich weiß nicht ob ich dir je gesagt habe, dass ich dir sehr dankbar bin für unsere gemeinsame Zeit! Dafür das du dir soviel Zeit für uns genommen hast und sicher auch das eine oder anderere graue Haar bekommen hast durch uns. Danke, danke, danke!
Minh, die älteste der 4 Mädchen, hatte mich nie vergessen, so wie auch ich oft und gerne an sie und ihre Geschwister dachte. Gerührt und mit Freudentränen las ich wieder und wieder ihre Zeilen.
Inzwischen sind Minh und Tan Anh selbst verheiratet und Mütter von sechs bezaubernden Kindern, denen sie eventuell von einer Frau Karin in München erzählen.

