Veröffentlicht: 12.03.2025. Rubrik: Unsortiert
Loyalität
Kleinwüchsig und schmächtig saß er in der ersten Reihe im Schulraum.
Bald hatte er erfasst, dass er nur als Wasserträger für die Großen überleben konnte.
Während die Mitschüler sich bald um die Mädchen kümmerten, blieben ihm nur Zubringerdienste.
Er übermittelte Grußbotschaften und andere Kleinigkeiten.
Später war er im Beruf die Bildzeitung. Alles wusste er über die Kollegen und trug es weiter.
Die Gewerkschaft und die Partei X ermöglichten ihm einen beschaulichen Karriereaufstieg.
Langsam und unaufhaltsam arbeitete er sich in der Politik empor. Solche wie er wurden gebraucht.
Plötzlich nahmen angesehene Männer und ein paar attraktive Frauen zu ihm Kontakt auf. War das schön! Er erfuhr Anerkennung, konnte an Einladungen teilnehmen, von denen er immer träumte. Urlaub im Luxushotel mit allem Drum und Dran.
Zum Geburtstag erhielt er einen Sportwagen. Warum sollte er das Geschenk ablehnen? Schließlich war er seinen Freunden stets zu Diensten.
Nun ist er in die Jahre gekommen. Ein Schlaganfall hat ihn niedergeschmettert. Weder Freunde noch Bekannte, noch eine Familie stehen ihm zur Seite.
Ein soziales Netzwerk ist inzwischen die einzige Abwechslung in seinem tristen Dasein. Seine seit der Kindheit bestehende Loyalität ist auch auf der Plattform von Vorteil. Überall kann er sich durch jonglieren.
Etwaige Übereinstimmungen mit noch lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

