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geschrieben 2024 von Genevieve (Genevieve).
Veröffentlicht: 23.11.2024. Rubrik: Grusel und Horror


Der Spiegelflur

Das verlassene Hotel „Sonnenblick“ lag abgeschieden in den Bergen, umgeben von dichten, dunklen Wäldern. Die Legenden über das Hotel waren ebenso alt wie die Mauern selbst. Man sagte, dass die Seelen der Verstorbenen, die einst dort gelebt hatten, noch immer über die Flure schwebten und die Schatten in den Räumen beobachteten.

Eines stürmischen Herbstnachmittags kam eine kleine Familie in diesem Hotel an, auf der Suche nach Ruhe und Abstand vom hektischen Stadtleben. Marcus, ein aufstrebender Schriftsteller, wollte die Abgeschiedenheit nutzen, um an seinem ersten Roman zu arbeiten. Seine Frau Anna, eine leidenschaftliche Künstlerin, suchte Inspiration für ihre neuen Gemälde. Ihr zehnjähriger Sohn Leo war begeistert von der Vorstellung, gemeinsam die Geheimnisse des alten Hotels zu erkunden.

Sie wurden von der Besitzerin, einer alten Frau namens Gertrud, empfangen. Ihre Augen schimmerten wie gebrochenes Glas, als sie ihnen den Schlüssel zur Suite überreichte. „Das Zimmer hat eine ganz besondere Geschichte“, murmelte sie mit einem Lächeln, das nicht ganz der Realität entsprang. „Seid vorsichtig mit den Spiegeln. Sie reflektieren nicht nur euer Äußeres.“

Die ersten Nächte verliefen ruhig. Marcus war in seine Arbeit vertieft, während Anna die Wände der Suite mit lebendigen Farben liebte, die sie aus dem sagenumwobenen Wald schöpfen wollte. Leo hingegen erkundete das Hotel. Er entdeckte einen langen Flur, gesäumt von alten Spiegeln, die das Licht in schimmernde Reflexionen verwandelten. Doch je mehr er mit den Spiegeln spielte, desto merkwürdiger fühlte er sich. Manchmal glaubte er, etwas in den Spiegeln zu sehen, das ihn anstarrte – eine schattenhafte Gestalt mit ausdruckslosen Augen.

Die Tage verwandelten sich schnell in ein Grauen. Marcus begann, unheimliche Träume zu haben Albträume, in denen unsichtbare Kräfte ihn drängten, obszöne Dinge niederzuschreiben, die er nicht einmal im Wachzustand auszusprechen wagen würde. Anna erlebte eine kreative Blockade, die sie in Verzweiflung stürzte; die Farben, die sie einst so liebte, erschienen ihr nun trüb und deprimierend. Leo hingegen wurde von ständigen Ängsten geplagt; das Flüstern der Schwärze, das er hinter den Spiegeln hörte, ließ ihn nachts nicht einschlafen.

Eines Nachts, als der Sturm draußen wütete, erwachte Anna von einem unerklärlichen Geräusch. Sie bemerkte, dass Leo nicht in seinem Bett lag. In Panik durchsuchte sie die Suite, bis sie schlussendlich die Tür zum Spiegelflur entdeckte, die einen Spalt offen stand. Sie trat ein, und das Flüstern wurde lauter, als wäre es das Echo einer vergessenen Zeit.

„Leo?“ rief sie. Die Worte hallten durch den Flur, aber keine Antwort kam zurück. Vor den Spiegeln spürte sie eine Präsenz, die sich in ihren Gedanken einnistete. Etwas aus der Dunkelheit schien sie zu rufen, die Schatten waren lebendig geworden, und sie begann, Gesichter zu erkennen, die sie von irgendwoher kannte – Gesichter, die einst in diesem Hotel gelebt hatten.

Marcus, der durch Annas Schreie geweckt wurde, folgte ihr in den Flur. Als er die Szene vor sich sah, blitze ein Funken Angst in seinen Augen auf. „Anna, komm zurück!“, rief er, aber sie war bereits in einen tranceartigen Zustand gefallen, hypnotisiert von den Spiegeln, als würde eine unsichtbare Hand sie festhalten.

Im nächsten Moment tauchte auch Leo auf, seine Augen weit aufgerissen. „Mama, lass dich nicht von ihnen holen!“ schrie er. Aber die Schatten waren schon zu nahe, hatten sich in die Realität geschlichen und forderten ihren Tribut.

In einem verzweifelten Versuch, seine Familie zu retten, griff Marcus nach Anna und zog sie zurück. Doch die Griffe der Geister waren zu stark, und er wurde von der Welle der Dunkelheit zurückgedrängt. Als er um sich schlug, sah er, wie sich die Gesichter der Toten in die Reflexionen einprägten – verzweifelte Wesen, gefangen zwischen den Welten.

Die letzte Nacht im Hotel war ein Albtraum. Die Schatten wurden zu physischen Wesen, zerrten an Marcus und Anna, während Leo auf der Flucht vor den verwunschenen Spiegeln war. Es war, als ob die Wände selbst lebendig wurden und das Hotel sich verengte, als könne es nur einen von ihnen verschlingen.

Aber Leo, in einem Moment der Klarheit, erinnerte sich an die Worte der alten Frau: „Seid vorsichtig mit den Spiegeln.“ Er schloss die Augen und rannte. Mit aller Kraft stürmte er gegen den größten Spiegel, als wäre er eine feindliche Wand. Der Aufprall war überwältigend, und ein zersplitterndes Echo durchbrach die Nacht. Die Schatten schrumpften zurück, und die Reflexionen begannen zu zerbrechen.

Als die ersten Sonnenstrahlen den Flur erleuchteten, lagen die restlichen Teile des Spiegels zerbrochen auf dem Boden. Anna und Marcus waren in Ohnmacht gefallen, doch Leo hatte gewonnen – zumindest für den Moment. Das Hotel „Sonnenblick“ war für immer verflucht, aber die Familie war entkommen, beseelt von einer neuen Wahrheit: Manchmal ist die Dunkelheit in uns selbst gefährlicher als die Schatten, die uns umgeben.

Die Türen des Hotels blieben verschlossen, und die Legenden lebten weiter. Die Seele der alten Gertrud, zusammen mit den vielen anderen Geistern, schweben weiter über den Fluren, im Schatten der Zerstörung, während die Spiegel des Flurs die Geschichten einer verlorenen Zeit bewahren.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Bad Letters am 24.11.2024:
Kommentar gern gelesen.
Zitat " ein zersplitterndes Echo durchbrach die Nacht", sehr schön formuliert Genevieve! Deine Themen sind nicht unbedingt die meinen, aber dein Schreibstiel verführt schon mal zum lesen.

MfG
Bad Letters




geschrieben von Genevieve am 26.11.2024:

Danke Bad Letters :D




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 15.12.2024:

Mega Geschichte.

haha sollte eher Schattenblick heißen das gruselige Hotel mit den herumgeisternden Seelen^^

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