Veröffentlicht: 03.11.2024. Rubrik: Aktionen
Meine Katze ist Schuld dran
Hätte es in meiner Kindheit eine Frauenbewegung gegeben, ich wäre ihr beigetreten, denn ich fühlte ich mich in unerträglichem Maße diskriminiert. Warum durfte man mich an zwei Stunden pro Woche, auf eine unerträgliche Art und Weise quälen, während meine männlichen Klassenkameraden straffrei entkommen konnten ? Für mich war Handarbeiten Höchststrafe. Jungs hatten Technisches Werken. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, der ich mich machtlos fügen musste.
Ich sollte Stricken lernen. 90 Minuten Unterricht reichten nicht aus, um auch nur eine einzige, brauchbare Masche zu stricken. Knoten, die konnte ich gut. Aber ein sauberes Maschenwerk – keine Chance. Die Handarbeitslehrerin resignierte und gab mir die Hausaufgabe, dass ich bis zur kommenden Woche, 10 cm eines 15cm breiten Schals stricken sollte. Die Frau hatte Nerven !
Auf dem Nachhauseweg überlegte ich, ob ich mir im Schlachthaus, bei meinem Vater, eine gröbere Verletzung zufügen sollte. Einen Finger mit der Knochensäge abtrennen – unser Lehrling hatte das locker überlebt – und geweint hatte er auch nicht. Oder ich könnte mich mit einem der scharfen Messer schneiden – das schien ganz einfach zu sein, denn es passierte öfters in unserer Familie. Es war zwar immer eine riesen Sauerei, mit all dem Blut, aber weder Mama, noch Papa vergossen auch nur eine enzige Träne. Und wenn man nicht weinen muss, dann kann es auch nicht so schlimm sein - dachte ich. Theoretisch hätte ich viele Optionen gehabt, die für eine Freistellung vom Handarbeitsunterricht ausreichend gewesen wären. Nur für die Umsetzung war ich anscheinend noch nicht verzweifelt genug - man könnte auch sagen: mir fehlte der Mut.
Einen Tag, vor der nächsten Handarbeitsstunde überwand ich mich und sagte zu mir: „Na gut, ich versuch’s“. Ich packte meinen Wollknäuel und Stricknadeln aus und machte mich ans Werk. Vollkommen verkrampft und mit Wiederwillen, wickelte ich den Wollfaden um meine Finger und stocherte mit den Nadeln in den Schlingen. Wie bei einem spirituellen Mantra erinnerte ich mich an die Worte der Lehrerin: „ Die Nadel sticht von vorne nach hinten und hängt die Schlinge auf die linke Nadel.“ Nach zwei Stunden holte ich das Maßband. Wow, 6 cm hatte ich schon geschafft. Das Ergebnis war nicht schön, aber selten. Vielleicht gewinne ich ja den ersten Platz bei einem Innovationswettbewerb“, ging es mir durch den Kopf. Und während ich noch, voller Stolz, mein Werk begutachte, ruft Mutter - ich soll kommen. Wenn Mutter ruft, dann bedeutet das nicht irgendwann einmal oder jetzt nicht. Dieser Ruf bedeutet, unmissverständlich: „Jetzt !“
Ich legte meine Handarbeit zur Seite und folge dem Ruf von Muttern. Sie brauchte etwas aus dem Lebensmittelgeschäft. Ich beeilte mich und war nach 15 Minuten wieder zu Hause. Der Blick auf meine Handarbeit, bzw. das, was davon noch übrig war, ließ mich erstarren. Mein Kater Peter hatte den Wollknäuel mit einem Spielzeug verwechselt und saß, wie in einem Kokon aus Wolle, neben dem Ofen. Als er mich sah, maunzte er kläglich und hoffte, dass ich ihn aus seiner misslichen Lage befreie.
Immer, wenn ich versuchte, die 110 Meter Wollchaos von Peter zu entfernen und zu einem sauberen Knäuel aufzuwickeln, übermannte meinen Kater der Spieltrieb und machte alles nur noch schlimmer.
Und so saß ich in der Handarbeitsstunde ohne Strickmuster, dafür aber mit einer komplett verhedderten und verknoteten Wollkugel. Der Blick der Lehrerin sprach Bände. Bevor sie etwas sagen konnte, kam ich ihr zuvor: “Meine Katze ist Schuld dran.“