Veröffentlicht: 22.03.2019. Rubrik: Grusel und Horror
Das Tal
Seit über zwanzig Jahren war der einzige Zugang zu dem schmalen Gebirgstal durch eine drei Meter hohe Mauer mit Stacheldraht verschlossen. Zusätzlich warnte noch ein Schild, dass das Betreten des Tales tödlich sei.
Die Behörden hatten zu diesen Maßnahmen gegriffen, nachdem über Jahre hinweg alle, die in dieses Tal gegangen waren, spurlos verschwunden waren. Auch von denen, die dort nach ihnen gesucht hatten, war niemand wiedergekommen.
Schließlich begann ein vierköpfiges Forscherteam – Edgar, Jutta, Kerstin und Kurt –, den Fall zu untersuchen. Es gab mehrere Theorien. Am ehesten vermuteten die vier, dass im Tal ein tödliches Gas austrat. Allerdings fragten sie sich, ob Menschen, die sich an der frischen Luft befanden, durch ein solches Gas getötet werden könnten.
Eines Tages verkündete Edgar: „Ich gehe mal ins Tal! Die Mauer macht mir nichts aus. Ich klettere einfach links oder rechts um sie herum.“
„Bist du wahnsinnig?“ Die drei anderen waren geschockt und versuchten alles, um ihn von seinem Plan abzubringen. Um sie zu beruhigen, gab Edgar vor, es sich anders überlegt zu haben. Doch sein Entschluss stand fest.
An einem hellen Sommertag war es soweit. Ohne dass auch nur ein einziger Mensch davon wusste, kletterte der geübte Bergsteiger Edgar um die Mauer am Eingang des Gebirgstals herum und stand schließlich auf der anderen Seite, die seit über zwanzig Jahren niemand mehr betreten hatte.
Vor ihm lag das enge Tal, das sich auf den ersten Blick nicht von anderen Tälern unterschied. Ein Weg führte hinein. Edgar ging geradeaus und sah nach einigen Minuten, dass der Weg, zwischen Steingruppen zur Linken und zur Rechten, an einer Wiese endete. Auf ihr lachten und tanzten buntgekleidete Menschen.
Er fotografierte den Anblick: den Weg, die Steine und dahinter die Wiese mit den lachenden, tanzenden Menschen. Unter das Foto schrieb er: „Hallo ihr drei! Gruß aus dem Tal! Edgar.“ Dann sendete er die Nachricht an Jutta, Kerstin und Kurt. Anschließend ging er weiter.
*
„Traurig, dass man nicht einmal seine Leiche bergen kann, weil das Betreten des Tales tödlich ist.“ Kurt seufzte. Vor drei Wochen hatten er und seine beiden Kolleginnen die letzte Nachricht von Edgar erhalten.
Wieder starrten alle drei auf das Foto, obwohl sie es schon so oft betrachtet hatten, dass sie alle Einzelheiten auswendig hätten nachzeichnen können: den Weg, die Steine und dahinter die Wiese voller Skelette.