Veröffentlicht: 19.03.2019. Rubrik: Unsortiert
Schutzengel Pauls erster Einsatz
Schutzengel kann nicht jeder werden. Viele wollen es auch gar nicht. Wenn Menschen nach einem langen, mühsamen Erdenleben Engel geworden sind (auch das wird beileibe nicht jeder), wollen sie meist nur noch den himmlischen Frieden genießen. Anders ist es bei Engeln, die schon früh aus ihrem irdischen Leben gerissen wurden. Sie sind oft noch voller Tatendrang, und da erscheint die Schutzengellaufbahn vielen attraktiv. Zunächst werden die Bewerber getestet. Gern nimmt man Engel, die als Menschen bereits einen vergleichbaren Beruf hatten, z.B. Polizist oder Bodyguard. Die erfolgreichen Kandidaten werden anschließend geschult.
An dieser Stelle noch eine Information über Engel. Bekanntlich sind sie geschlechtslos. Aus praktischen Gründen behält aber jeder Engel den Vornamen, den er als Mensch trug. Und da das Deutsche, im Gegensatz beispielsweise zum Schwedischen, noch kein geschlechtsneutrales Personalpronomen besitzt, ist Engel Peter eben ein „er“ und Engel Petra eine „sie“.
Nun aber zu dem im Titel erwähnten Paul. Mit acht war er tödlich verunglückt und danach Engel geworden. Im irdischen Leben war sein Berufswunsch Feuerwehrmann gewesen. Nun wollte er als Schutzengel tätig sein, doch die Ausbilder waren zunächst skeptisch. Er hatte ja als Mensch noch keine Erfahrungen sammeln können. Doch Paul überzeugte sie mit seinen Fähigkeiten und seinem Engagement, und schließlich wurde er tatsächlich als Schutzengel zu seinem ersten Einsatz geschickt.
Schutzengel begleiten ihren Schützling vom Augenblick der Zeugung an. Die Schutzengelzentrale schickt junge, unerfahrene Engel grundsätzlich zu Schützlingen, bei denen nicht schon im Voraus Probleme zu erwarten sind. Auch Pauls Schützling, der bei seiner Geburt den Namen Maximilian erhielt, hatte Eltern, die sich auf ihr erstes Kind freuten und ihm ein liebevolles Zuhause bieten konnten.
Als Maxi drei Monate alt war, kam die erste Bewährungsprobe für Paul. Maxis Mutter Lisa hatte im Keller etwas zu erledigen und musste das Baby in seinem Gitterbettchen allein lassen. Da schönes Wetter war, ließ sie das Fenster offen. Paul wusste, was sie dachte: „Wir wohnen ja im dritten Stock, da kann am helllichten Tag niemand rein. Und Maxi kann noch nicht raus.“
„Bertha“, fragte Paul seine Kollegin, Lisas Schutzengel, „stimmt das? Kann wirklich nichts passieren?“
„Wahrscheinlich nicht, aber pass lieber auf“, antwortete sie etwas unschlüssig und musste ihren Schützling dann zum Keller hinunter begleiten.
Schon wenige Minuten später geschah es dann. Eine Elster flog schnurstracks ins Zimmer. Entsetzt sah Paul, dass es ein aggressiver Vogel war. Mit seinem Schnabel konnte er Maxi…
„Elster, raus!“, schrie er. Doch die Elster schoss hämisch keckernd auf das Bett mit dem schlafenden Maxi zu. Paul warf sich ihr in den Weg. Ihm als Geistwesen machte der Schnabel nichts aus. Die Elster dagegen spürte einen unsichtbaren Widerstand, den sie nicht durchdringen konnte. Fluchend kehrte sie um. Bevor sie wieder nach draußen flog, riss Paul ihr ein paar Federn aus, die auf dem Teppich landeten.
Lisa, begleitet von Schutzengel Bertha, kam zurück. Bevor sie etwas ahnte, hatte Paul seine Kollegin schon in aller Kürze informiert. „Die Federn habe ich der Elster ausgerissen, damit Lisa sieht, dass sie hier drin war, und in Zukunft das Fenster schließt.“
Bertha war beeindruckt, doch noch bevor sie dies in Worte fassen konnte, hatte Lisa die Federn entdeckt. „Was ist denn das?“, murmelte sie und schrie dann auf: „Elsternfedern! Eine Elster war hier!“ Sie rannte zu Maxis Bettchen. „Hat sie dir was getan?“ Außer sich vor Sorge untersuchte sie den Kleinen nach Verletzungen. Doch sie fand keine, und Maxi, der inzwischen aufgewacht war, gluckste fröhlich.
„Was für einen Schutzengel musst du gehabt haben! Nie wieder werde ich dich bei offenem Fenster allein lassen. Ich ahnte ja nicht, dass Elstern hier reinfliegen können. Nur gut, dass die Federn auf dem Boden lagen, sonst hätte ich das nie erfahren.“
Die Schutzengelzentrale, von Bertha benachrichtigt, sprach Paul allerhöchstes Lob aus und bot an, ihm bei seinem nächsten Einsatz ein Königskind anzuvertrauen. Doch davon wollte er nichts wissen. „Mir ist jeder Schützling recht. Im Übrigen hoffe ich, dass Maximilian hundert Jahre alt wird, und ob es im 22. Jahrhundert noch Königshäuser gibt, weiß man ja gar nicht!“