Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
12xhab ich gern gelesen
geschrieben von marjah.
Veröffentlicht: 16.10.2023. Rubrik: Menschliches


Ich könnte sie erwürgen

„Guten Appetit, die Damen!“

Oh Gott noch eine Stunde, ich kann nicht mehr, kurz hinsetzen, die Füße hochlegen, warum schmerzen die heute nur so, ich hätte doch die anderen Schuhe anziehen sollen, bei Frau Geiger sitzt noch wer, gut so, die Frau hau ich jetzt an

„Sie sind noch zu Besuch? Ach, das wäre nett, wenn Sie Frau Geiger etwas helfen könnten, Fleisch klein schneiden und so...“

Gott sei Dank macht sie es, das hätte mir jetzt noch gefehlt, die Alte füttern zu müssen, hab sowieso keine Zeit, noch vier Zimmer, wieso tut mir heute nur mein Kreuz so weh, hinlegen, nee, weitermachen

„Herzlichen Dank, da tun Sie mir einen großen Gefallen.“

Blablabla, bloß raus hier, welches Tablett als nächstes? Der Wagen sollte auch mal wieder geölt werden, das blöde rechte Rad, komm schon, weiter
Mist Tablett, klemmt, ach nee, Suppe, warum müssen die auch immer die Schüsseln so voll machen in der Küche, keinen Gedanken verschwenden die an uns, die Marat wird wieder nörgeln

„So, Mittagessen, guten Appetit die Damen!“

Bloß raus hier, bevor die den Deckel aufmacht und rummäkelt.
Mann, würde ich mich jetzt gerne mal an die Wand lehnen und die Augen kurz zumachen, keine Chance, nächstes Tablett, Fritz, Diabetes, was haben die ihm draufgetan? Schon wieder Weißbrot, das geht gar nicht, gibt’s irgendwo schwarzes? Ach ja, bei Deidrich, kriegt der halt heute weißes, gut, dass ich’s noch gemerkt hab

„So, meine Herren, Mittagessen, sehr lecker heute, guten Appetit!“

Raus, bevor der mich wieder so blöd anmacht, die Kerle haben auch nix Besseres zu tun, als sich ins Bett zu legen und sich bedienen zu lassen, Männer! Wegen jedem Furz jaulen sie und sind sterbenskrank, die sollten mal so beinander sein wie die Frettinger bei der Geiger im Zimmer, 96, Kreislaufzusammenbruch und trotzdem kein Gejammer, der geht’s wirklich schlecht.

Wen haben wir denn noch? Der Gang nimmt heute auch kein Ende, puhh, meine Füße, bleib wach, Schwester Vroni, kein Pardon, Dienst ist Dienst, was bin ich froh, wenn die Schicht vorbei ist, Mist, Hans-Georg wollte doch zum Möbelmarkt fahren wegen der Couch, soll er alleine machen, mir egal, ich brauch nur noch mein Bett.

„Mittagessen, meine Herren, guten Appetit!“

Hoffentlich hält der heute mal seinen Mund, jetzt geht das mit den Kopfschmerzen schon wieder los, hab zu wenig getrunken, nach dem letzten Zimmer unbedingt, oder gleich eine Tablette, diese Hitze heute wieder, total naß geschwitzt, Wechseljahre, klar, muss man aushalten, Gabi nimmt Hormone, ob das besser ist? Egal, hab keine Zeit für den Arzt, wenn ich jetzt auch noch ausfalle wegen Kreuzschmerzen und Migräne, sind die aufgeschmissen, achja, so ist es halt

„Was? Blutet durch? Moment, Herr Hieninger, sofort!“

Das auch noch, diesen Scheißverband wechseln, konnte das nicht in einer halben Stunde passieren, nee, immer ich muss den Wehleider wickeln, na gut, hilft ja nix, runter mit dem Zeug, dem streich ich jetzt mal was auf, dass das endlich aufhört, ich glaub, der kratzt absichtlich oder so, damit er möglichst oft von möglichst vielen Schwestern aufgepackt und wieder verpackt werden muss, da kann der jedes Mal seine Männlichkeit zur Schau stellen, manche sind ganz scharf drauf und beobachten, wie ich reagier, dem trau ich das zu, das ist so einer, hat Gabi auch gemeint, hat ne Macke, der, so toll sieht der da auch nicht aus, hab schon Gewaltigeres gesehen, als ob das unsereinen nach zwanzig Dienstjahren noch anmacht ... tztztz ...

„So, Herr Hieninger, Vorsicht, stillhalten, wir haben es gleich.“

Wie der drinliegt und das genießt, dass er mich hier schikanieren kann, wenn das jeder machte, kämen wir gar nicht vorwärts, und die Schweinerei im Bett, wieder neu beziehen, gleich oder später? Gleich, ok, hoffentlich ist die Wäsche aus der Wäscherei schon da, wird knapp mit den Laken.
Das Wäschezimmer könnte auch zentraler liegen, immer diese Hin-und-Her-Rennerei

„Bitte zur Seite rollen, dann schieb ich das Laken durch. Gut so, andere Seite, fertig. Vorsicht beim Hinsetzen jetzt!“

Geschirr wegräumen, dann endlich Schluss, nein, noch ein Zimmer.
Halt, Glocke, wo? Verdammt, die Frettinger, um Gottes Willen, Doktor Gerner ist beim Mittagessen, meine Beine, der Gang nimmt kein Ende

„Frau Frettinger, was ist, geht’s Ihnen nicht gut?“

Die hockt ja ganz munter im Bett, hat alles aufgegessen, was soll das?

„Schwester Vroni, Sie können abservieren!“

counter12xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von ORF am 16.10.2023:

Wie im richtigen Leben (der Altenpflege)!




geschrieben von Christelle am 17.10.2023:

Sehr schöne Beschreibung des Alltags einer Altenpflegerin und ihrer Zerrissenheit zwischen Zeitmangel, Überforderung, Pflichtbewusstsein und Frust. Gern gelesen!




geschrieben von Gari Helwer am 20.12.2023:

Großartig geschrieben, Marjah! Ich mache ehrenamtliche Besuche im Altenheim gegenüber und würde sagen - genauso ist es!!! LG

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Ernten, was man sät? (Oktober-Aktion)
Jede gute Tat wird belohnt (Drabble)
Der ewige Dritte
Endlich die Wahrheit
Der Weg ist das Ziel