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geschrieben von marjah (marjah).
Veröffentlicht: 01.10.2023. Rubrik: Historisches


Endlich die Wahrheit

„Hey, Mom, was soll das?“ No hatte eine Stoß erhalten, lag vor seiner Koje auf dem Boden und war wütend. Eigentlich hieß er ja Norbert-Ahiam, nach seinen beiden Großvätern, doch das war allen zu umständlich. Also No.
Mom fuhr aus dem Schlaf. Sie hatte nichts gemerkt. Aber jetzt ruckelte es nochmals, die Kajüte wankte und ihre Welt stand plötzlich schräg. Es war stockdunkel. Sie war sich nicht sicher, aber ihre Füße lagen höher als der restliche Körper und sie rutschte unaufhaltsam ans Kopfende.
„No, was ist das? Hilfe! Licht!“
„Hey, aufhören! Aufhören!!!“ Durch Nos Gebrüll wachten auch die anderen auf und das Gekreische ging los. Schrille Kinderstimmen, Frauengezeter, Männergedröhne. Und die Tiere ebenfalls. Unvorstellbar unerträglich dieser Lärm.

No kroch vorsichtig an der Kante des Raumes entlang, wo der Fußboden mit der Wand zusammenstieß, denn die war im Moment unten.
„Pfff, endlich draußen!“
Er hatte es kaum gestöhnt, schon kugelte er los und fand sich am Bugspriet wieder, aufgehalten nur durch die hier als Bretterwand gestaltete Reling. Er rappelte sich hoch, schob die Nase über den Rand und versuchte, etwas zu erkennen. Tiefste Finsternis.
Aber: Kein Regen rauschte, kein Lüftchen regte sich und ... tatsächlich, hinter einer dünneren Wolke wurde ein schwaches Leuchten sichtbar.
Es war soweit! Geschafft!
Er kroch zurück ins Chaos. Seine letzte Aufgabe bis zum Morgen, dann hatte er es hinter sich..

Die ersten Sonnenstrahlen sahen die gesamte Familie im Freien. Man kletterte vorsichtig auf der Strickleiter am schief liegenden Schiffskörper zum festen Boden. No zuerst. Und schon versank er bis zu den Knien im Matsch.
„Ui, Mom! Paahh, ist das nass hier!“
Die Genialität dieses Ausspruchs fiel dem dreijährigen Enkel George, genannt Schorsch oder Schoos, sofort auf. „Mom! Pahh, nass! Mom, pahh, nass!“ Voller Begeisterung hüpfte er von der Leiter und steckte prompt bis zu den Schultern im Schlamm.

Man hatte es tatsächlich hinter sich. Weit unten schlugen kleine Wellen ans Land, das Wasser begann abzulaufen, der Berg hatte sie gerettet, er war der Ort für einen Neubeginn.
Das Ausladen beschäftigte alle sehr in den nächsten Stunden und als der große Augenblick gekommen war, stellte man fest, dass drei fehlten: Elli, Schoos und Lissi.
No ging zum Abhang, blickte auf das mittlerweile nahezu wasserfreie Land, suchte mit scharfen Augen nach einer Bewegung.
„Wartet noch! Dort unten sehe ich was ... ja, ... das sind sie!“
Zu spät.

Die Gatter, Stalltüren, Käfiggitter waren schon geöffnet.
Das anschwellende Geräusch ließ No sich umdrehen.
„Nein!!!! Seid ihr verrückt! Die Kinder!!!“
Während er noch schrie, kam die Lawine auf ihn zu gerollt. Nichts wie weg hier!
So schnell war No noch nie in seinem Leben gerannt. Er sprintete bergab, was die Beine und die Lunge hergaben. Sein Leben, das der Kinder unten, es ging um alles!
Und doch hatte er während des Laufens noch genug Luft, die Kinder zu warnen: „Schoos! Elli! Lissi! Schoos! Elli! Lissi! Weg! Lauft weg! Sie kommen!”
Er war ja nicht mehr der Jüngste und die Puste ging ihm aus, seine Rufe wurden immer unartikulierter: „Schoos Ellissi! Schoosellissi!“
Er stolperte, rollte ein Stück, blieb an einem Felsbrocken liegen, konnte mit letzter Kraft dahinter kriechen und schon rasten sie an ihm vorbei, die endlich in die Freiheit Entlassenen:
Geparden, Wiesel, Giraffen, Löwen, Ratten, Gazellen, Kühe, Elefanten, Schafe, Affen, Pferde, Zebras, Strauße, Krokodile, was das Schiff nur hergab, immer zwei von jeder Art. Drüber ein gewaltiges Rauschen von tausend Vogelflügeln, dahinter ein gigantisches Summen von Millionen Insekten. Alle auf dem Weg nach unten, in die Freiheit, erneut ins Leben!

Als sie endlich verschwunden waren in den unendlichen Weiten des vom Wasser wieder frei gegebenen Landes, blieb nur eine breite Trampelspur zurück.
No kniete hinter seinem Felsen und weinte.
Von den Kindern wurde keines mehr gesehen. Tagelang irrte deren Mutter, die Barisia hieß, noch umher, dann ertränkte sie sich aus Kummer in dem Fluss, in den das Wasser sich zurück gezogen hatte.

No und die anderen siedelten sich am Fuße des Berges an, der zu Ehren der Landung den Namen erhielt, den ihm der Kleine gegeben hatte: „Mompanass“.
Die breite Straße blieb einfach die „Schooselissi“ und der Ort, der nun entstand wurde zu Ehren der verzweifelten Mutter „Barisia“ genannt.

Dass spätere Geschichtsschreiber diese Namen verunstalteten, konnte leider nicht verhindert werden. Dass aber auch der tatsächliche Ort der Landung von Norbert-Ahiams Schiff einfach woandershin verlegt wurde, das ist unverzeihlich.
Mit diesem Dokument kommt nun endlich die Wahrheit ans Licht.

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