Veröffentlicht: 04.10.2023. Rubrik: Spannung
Der ewige Dritte
"Jaaaaa!"
Das weiße Zielband noch vor der Brust fiel er Borelli in die Arme. Geschafft! Geschafft! Er hatte gewonnen!
Seit hinter den Kulissen durchgesickert war, dass der Sieger dieses Marathons den Werbevertrag des weltgrößten Sportartikellherstellers erhalten würde, hatte er gewusst, dass er gewinnen musste. Es hatte geklappt und nun würde er seine Spielschulden bezahlen können und Nina, ach Nina, war endlich sein!
Borelli führte ihn noch eine halbe Runde herum, im Grund wusste er nichts mehr außer, dass er der Sieger war.
Während er das Treppchen bestieg, sah er Fritsch vor sich laufen. Er war 20m vor ihm gewesen, als es passierte. Der letzte Erfrischungsstand, Fritsch holte sich, wie es seine Gewohnheit war, den Becher ganz an der vorderen Ecke, kippte sich den Inhalt in die Kehle, während er weiterrannte. Und dann hatte er plötzlich den Becher weggeworfen, die Arme hochgerissen, war getaumelt, zu Boden gestürzt und liegen geblieben. Wolter konnte mühelos an ihm vorbeiziehen.
Jetzt, auf dem Siegespodest war ihm die Szene nur zu deutlich gegenwärtig: Durch Fritsch’ Sturz hatte er gewinnen können. Morgen würde es in der Zeitung stehen. Er sah die Schlagzeile schon vor sich: Der ewige Dritte gewinnt den Marathon-World-Cup von Severskirk!
Die kleine Sandviper, die in dem Becher gewesen war, hatte sofort die Flucht ergriffen, niemand konnte ihm etwas nachweisen, die Dame, die die Wasserbecher hergerichtet hatte, hatte ihre Schuld bei ihm beglichen. Und er würde den Vertrag und das ganze Geld bekommen.
Die Nationalhymne lief ab, er hörte nur mit halbem Ohr hin, öffnete automatisch den Mund, als würde er singen, es war egal... Der ewige Dritte ... gegen die beiden anderen, Fritsch und Paretti, hatte er nie eine Chance gehabt. Aber dass Fritsch von einer Viper ins Jenseits befördert worden war, wer wusste das schon?
Paretti war einfacher auszuschalten gewesen: Seine Vorliebe für Obst vor dem Frühstück hatte ihn lahm gelegt. Es war keine große Sache gewesen, den Apfel auf der Obstschale auszutauschen, die im Hotelflur vor Parettis Zimmer bereitstand. Nach zehn Kilometern hatte das Abführmittel seine Wirkung getan.
Jetzt brauchten nur noch die Werbeleute Kontakt zu ihm aufzunehmen und er war ein gemachter Mann. Morgen Vormittag würden sie kommen, das wusste er, hinter den Kulissen war alles bekannt gewesen.
Jubel umbrandete ihn, er lief die Siegerrunde ums Stadion, winkte, lachte, strahlte: Der ewige Dritte hatte endlich seinen Weg gemacht!
Dass es sich bei dem Werbevertrag um die Siegerin des Frauenlaufs handelte, würde er schon noch rechtzeitig erfahren.