Veröffentlicht: 26.08.2023. Rubrik: Nachdenkliches
Praying Mantis
Eine Utopie:
Die wilde Nummer mit Deborah hätte übel für mich enden können. Das Biest war zuweilen wie eine Gottesanbeterin, die sich allzu gerne auch mal während des Aktes ihren Gespielen als Snack einverleibte. Natürlich nur metaphorisch - sie hätte mich nicht wirklich verspeist, sie war ja keine Kannibalin, dennoch hing ihr der Ruf nach, ab und an im Liebesspiel auszurasten und mit dem Rasiermesser rumzufuchteln. Seit der schöne Hank von tiefen Narben gezeichnet zum hässlichen Hank wurde, sprach man hinter vorgehaltener Hand von der geilen Psychopathin, vor der man sich hüten sollte.
Ich zitterte noch lange nach, sie war furchteinfößend, egal, irgendwas hatte ich letzte Nacht wohl gut gemacht und schließlich war sie meine Chefin. Wenn sie rief, hatte ich zu erscheinen und im besten Fall auch zu kommen.
Sie war eine alte weiße Frau um die fünfzig. Und die hatten nunmal das Sagen in unserer momentanen Welt.
Ich hatte gerade beruflich Fuß gefasst nach meinem Masterstudium in Gefühlslogik. Hatte einiges an Schulden angehäuft. So musste ich halt die ein oder andere Zuwendung des weiblichen Kollegiums über mich ergehen lassen, um im Job irgendwie voranzukommen. Auch wenn es mir widerstrebte. Schließlich war ich von den alten Weibern abhängig, die lüstern auf junge Männerärsche starrten und vor keinem sexistischen oder zumindest anzüglichen Spruch fies waren. Spieltest du ihr Spiel nicht mit, warst du schneller als Handwerker-Aushilfe tätig, als du ihre feisten brilliantberingten Grabschefinger von deinem Oberschenkel geschoben hättest.
Intuitives Denken und Handeln war nach dem Scheitern der rationalen Betrachtungen gerade der Game Changer bei der Entscheidungsfindung in weltwichtigen Fragen.
Frauen hatten sich durch pragmatisches Handeln an die Top-Positionen manövriert, ihre weiblichen Netzwerke hochgezogen und weitestgehend die Welt der alten weißen Männer übernommen.
Kein Wunder nach dem maskulinen Kollektivversagen Anfang der Zweitausenderjahre.
Eine Katastrophe überholte die Andere und eitle Pfauen debattierten jede notwendige Entscheidung zunichte. Ihr festgefahrenes Mantra: Kritik ist persönliche Absolution von Selbstkritik. Eine wundervolle verantwortungsfreie Bubble von Bedenkenträgern, aus der man prima und selbstgefällig dem Volke winken konnte.
Als ich die Stimme des Lebkuchens in meinem Nacken spürte, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Abteilungsleiterin Shelley war unnatürlich gebräunt und die Farbtupfer in ihrem gedunsenen Antlitz taten ihr übriges, um auf die Assoziation, des von Kinderhand bemalten Lebkuchengesichtes, zu kommen.
Mir lief ein Schauer über den Rücken, während ich gegen hochkommenden Mageninhalt anschluckte. Mir war klar, was sie wollte.
"Du, wir haben noch einiges zu besprechen, was unbedingt morgen vom Tisch sein muss. Wir machen das heute Abend in der Sauna. Da können wir auch prima relaxen nach dem harten Bürotag, klar?" Es war eine rethorische Frage, deren Antwort Shelley nicht abwartete.
Migräne schoss mir in den Schädel, als ich hinter ihr her lief.
"Ach du Shelley, hat das nicht Zeit bis morgen, mir geht's heute nicht so gut."
"Deine Entscheidung", zischte sie schnippisch. "Die Dinge werden heute erledigt, womöglich ziehe ich Matt aus der Abrechnung zu Rate. Überlege eh, ob er nicht der bessere Assistent für mich wäre. Das würde natürlich bedeuten, dass ich für dich keinen Job mehr habe."
"Schon gut, Shelley", erwiderte ich kraftlos. "Ich nehme ein Aspirin, dann bin ich schon fit." Shelley grinste breit mit ihren schneeweißen Jackett-Kronen, die mit dunkelroten Lippenstiftflecken das schokobraun gegerbte Gesicht absurd zu einer Satteltasche mit zugequollenen Sichtschlitzen verformte.
Vier Stunden später stand ich vor der Sauna, acht unbeantwortete Anrufe Shelleys auf meinem Handy, die von ihrer ungeduldigen Geilheit zeugten.
Ich wollte das nicht, hatte Tränen der Verzweiflung auf dem Gesicht.
Ich wischte sie weg und trat durch die Tür in die Räumlichkeiten des Firmen - Spa - Bereiches.
Die Tür, hinter der sich im Verborgenen Erniedrigendes abspielte für die Handvoll junger Männer, die in dieser Festung weiblicher Mantiden einfach nur arbeiten wollten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.