Veröffentlicht: 14.07.2023. Rubrik: Persönliches
Huld Melancholie
"Die High-End Microfasertücher unter den Waschlappen für Leute, die nachts gerne noch schluchzend eine Laterne umarmen".
So las sich einst eine humorige Fach-Kritik über die amerikanische Indie-Band "The National". Weiter hieß es: Wer noch niemals einen tränenreichen Liebeskummer zu einem Song dieser Musiker um Sänger Matt Berninger verarbeitet habe, der hätte nicht gelebt.
Kann man so sehen und war bestimmt wohlwollend gemeint. Meine persönliche Meinung ist eine andere. Klar können Titel wie" Your Mind Is Not Your Friend" einen gewissen Hang zur melancholischen Selbstkasteiung erahnen lassen, gerade wenn man weiß, dass Berninger immer wieder mit sich selbst zu tun hat.
Aber worauf kommt es denn an im Leben. Möglichst launige Fast- Forward Scheiben zur geistigen Überbrückung der beschissenen Weltlage zu produzieren oder etwa eben diese beschissene Weltlage in großer tragender Lyrik einen Abgesang zu bereiten. Gibt es, soll es geben. U2 und Taylor Swift haben, inklusive mir, abermillionen Fans. Ja, ich habe Taylor Swift gesagt. Eben diese reiht sich auf der neuen National-Platte im Song "The Alcott" gesanglich in den Backround Berningers ein, weil sie weiß, was der Mittfünfziger kann.
Er kann das versprechsingen, was uns alle betrifft. Die kleinen Geschichten aus der menschlichen Seele. Winzige Schmuckstücke aus Herzen und Köpfen einzelner Individuen. Und da hat er mich mit Haut und Haaren am Schopfe der Haare, die ich gar nicht mehr habe. Aber ich habe eine 12. Und da haut Berningers Truppe mir dermaßen drauf, dass ich in mein lymbisches System frohlocke, bis die Schwarte kracht.
Ich bin emotional, altersemotional vielleicht.
Daß sich mir bei Kunzes "Stein" auch beim dreihundertsten Mal ein Tränchen aus dem Körper drücken darf, weil er eine grandiose Perle menschlichen Befindens erschaffen hat, macht mich antastbar. Und glücklich.
Einige Songs der Nationals fühlen sich in mir an, wie rückwärts ins blaue Meer zu kippen und nach dem Auftauchen auf den Daikiri neben meiner Hängematte zu schauen, der mich zum Rendezvous mit mir selbst erwartet. "Mind is not your friend, Berninger?" Oh doch, mein Lieber, das ist er, wenn dieser Mind noch Begriffe, wie Inspiration, Melancholie, Vertrauen und Antastbarkeit mit Gefühlen füllt!
Ihr Musiker habt die Kunst mit dem größten Emotionshebel in eurer Hand. Eine der Künste in der, entgegen allem anderen auf der Welt, die Schwächsten die Stärksten sind.
Für Millionen Seelchen, wie mich.