Veröffentlicht: 27.01.2016. Rubrik: Persönliches
Erfüllen Hufeisen Wünsche?
An einem schönen Sommertag, die Familie sass draussen im Freien vor dem Haus und die Eltern widmeten sich ausgiebig unserem Besuch, der
aus dem Thüringischen eingetroffen war, um ein paar Tage bei uns zu logieren. Der Kaffee entfaltete seine anregende Wirkung, es herrschte eine ziemlich rege Unterhaltung über einige lohnende Ausflugsziele in der näheren Umgebung. Es hatte mich schon sehr interessiert, denn ich selber kannte diese Ziele auch nur vom Hören und dem Namen nach. Selketal und Mägdesprung- auch Alexisbad und Teufelsmauer wurden erwähnt. Die Erwachsenen schauten verständnisvoll in die Runde und nickten bejahend bei diesem oder jenem Ausflugsziel einander zu. Ich selber traute mich nicht zu sagen, wohin man sich eventuell auch noch begeben könnte, um nicht als vorlaut und ungezogen eingestuft zu werden. Ganz unvermittelt meldete sich Tante Klara zu Wort und erkundigte sich mit sehr interessiertem Tonfall, wie weit es denn zur Rosstrappe sei. Tante Klare hatte in diesem Moment meine ganze Sympathie für sich, darauf hoffend, dass man sich zu diesem Ausflugsziel entschliessen würde, da es offenbar am weitesten entfernt war, und somit grosses Abenteuer versprach. Zusätzlich zu meinem Hoffen erzählte sie auch noch die Geschichte, die Sage vom Rosstrappenfelsen, in Kurzform in der Runde. Ein ungestümer Ritter Bodo hätte bei der Verfolgungsjagd einer Prinzessin beim Sprung hinüber
zum Hexentanzplatz einen Abdruck vom Hufeisen seines Pferdes hinterlassen. Man beschloss indessen, dass man sich am nächsten Tag zu diesem Ziel hinbegeben wollte. Ich war in heller Aufregung, denn in unserem kleinen Ort am Rande des Harzes gab es bislang keine Besonderheiten. In einem Bücherregal fand ich am Abend ein Buch über Sagen aus dem Harz, worin ich nun sehr interessiert die Geschichte von der Rosstrappe nachlesen konnte. Mein Erstaunen ging ins unermessliche, als ich lesen konnte, dass dieser Hufeisenabdruck im Felsgestein sogar Wünsche in Erfüllung gehen lassen würde. Lange überlegen musste ich nicht, denn es gab nur einen, schon sehr lange gehegten Wunsch- ein Fahrrad. Meine Eltern waren in dieser Zeit nicht mit grossen Gütern gesegnet, sodass sie mir diesen Wunsch nicht erfüllen konnten. Am nächsten Morgen ging es hektisch zu. Meine Mutter packte eine grosse Tasche mit Proviant, denn es war noch die Zeit der schmalen Geldbeutel. Der Weg zum Bahnhof war die erste Etappe. Mutter und Tante mühten sich abwechselnd mit der Provianttasche ab, während Vater und Onkel jeweils ihren Fotoapparat im Etui über die Schulter trugen. Ob wir wohl rechtzeitig am Bahnhof sein werden? Das war meine grosse Sorge,... mir ging alles viel zu langsam. Nachdem die Billetts gekauft waren, warteten wir auf die Ankunft des Zuges. Endlich näherte sich die Dampflock und wir fanden ausreichend Platz in der Holzklasse der Reichsbahn. Schon nach wenigen Kilometern war für mich die vorbeiziehende Landschaft ein Erlebnis. In der nahegelegenen Kreisstadt mussten wir umsteigen, einen Tunnel begehen, um auf ein anderes Gleis zu gelangen. Es war für mich das erste Mal, und es war sehr beeindruckend, durch solch eine Unterführung zu gehen. Die weissen und bunten Kacheln an den Wänden waren erhalten gebliebene Relikte aus der Vorkriegszeit. Ebenso bestaunte ich die grossen, bunt verglasten Fenster des Bahnhofsgebäudes, denn so etwas hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Von hier ging es weiter in eher holpriger Fahrt mit einer Kleinbahn in Richtung Bodetal. Dort angekommen waren wir sogleich von schroffen Bergmassiven umgeben. Die kleine Dampflock ließ noch einmal einen schrillen Ton mit überschüssigem Dampfdruck vom Kessel hören, wobei der Widerhall des Echos der umliegenden Berge sich etwas schaurig anhörte. Das laute Stimmengewirr der vielen Besucher dieses Ortes vermittelte mir ein noch nie erlebtes Gefühl. Also ging es hinein ins Bodetal. Die vorsorglich mitgeführte Wanderkarte erwies sich als völlig überflüssig, weil sich überall zahlreiche Wegweiser befanden und man so niemals den Weg hätte verfehlen können. Es war ein aufregender Spaziergang entlang der wild und ungestüm rauschenden Bode. Seitlich, die steil aufsteigenden schroffen Felswände, von denen kleine Rinnsale stellenweise den Weg in kleine Pfützen verwandelten. Dann endlich hatten wir den Aufstieg vor uns. Zuvor wurden noch Erinnerungsfotos gemacht, wobei Tante Klara immer darauf bedacht war, dass sie gut im Bild war. Für mich war das alles ziemlich bedeutungslos, ja eher hielt es mich davon ab, endlich am Ziel zu sein, dass ich meinen Herzenswunsch im Hufeisen anbringen konnte. Onkel Alois mit seinem beleibten Körper musste offenbar alle Reserven aktivieren, während ich gar nicht schnell genug die zickzack angelegten Wege, Serpentinen... bergauf rennen konnte. Ich hatte schliesslich ein grosses Ziel vor mir, um einen sehnlichen Wunsch loszuwerden. Oben angekommen beschloss man eine kurze Einkehr im einzigen Restaurant am Platz, das den Eindruck machte, als sei es heillos überfüllt. Die Besucher standen unentschlossen zwischen den Tischen, man wusste nicht, ob sie gerade freie Plätze suchen oder ob sie gehen wollten. Der riesige Raum war erfüllt von Bierduft vermischt mit Geruch von Bockwurst und Senf. Vater und der Onkel diskutierten, ob sie Bier oder Wein trinken wollten. Für mich stellte sich solch eine Frage nicht, denn es stand schon fest, dass es nur Waldmeisterbrause vom Fass sein konnte. Nachdem die dicke Kellnerin abkassiert hatte,...Onkel Alois hatte sich spendabel gezeigt, indem er zu seiner Schwester, meiner Mutter, sagte...lass mal stecken Lisbeth, ich mach das schon. Jetzt wurde es für mich immer spannender, denn der Spazierweg zum Hufeisen der Wünsche lag vor uns. Nach und nach begegneten uns immer mehr Menschen, die uns entgegen kamen. So erreichten wir dann den sagenumwobenen Hufeisenabdruck im Felsgestein. Doch was für eine Niederlage, es gab eine riesige wartende Menschenmenge, vor der begehrten Stelle. Ich musste doch unbedingt auch in diesem Hufeisen stehen, um meinen Wunsch loszuwerden.
Schliesslich konnte ich mich in die Warteschlange einreihen und formulierte schon in Gedanken meine Worte, die man jedoch nicht laut aussprechen durfte. Die Leute um mich herum scherzten lautstark miteinander,...man solle auch ja den richtigen Wunsch äussern.
Ich machte mir Gedanken, ob man es denn gar nicht ernst nimmt?
Endlich war ich an der Reihe und war zunächst einmal verwundert, über die doch unnatürlichen Ausmaße des Gebildes, welches tatsächlich einem Hufeisen entsprach, aber doch für den Hufabdruck eines Pferdes
viel zu groß war. Also trat ich hinein in die Vertiefung im Gestein und meine gedachten Worte lauteten,...ich wünsche mir ein Fahrrad. Mit einem Hochgefühl ging ich zurück zu den Anderen. Tante Klara konnte nicht umhin, mich irgendwie verschmitzt zu fragen,...na mein Junge, was hast du dir denn gewünscht? Ich schüttelte verneinend den Kopf, dennman durfte ja nicht darüber reden. Alsbald darauf begann der Abstieg, wieder hinunter ins Tal. Der Nachmittag neigte sich allmählich dem Ende zu, und alle waren recht froh, als man mit dem Zug wieder die Heimfahrt antreten konnte. Onkel und Tante fuhren wieder nach Thüringen zurück, aber ich wartete Tag für Tag darauf, dass sich mein Wunsch aus dem Hufeisen vom Rosstrappenfelsen erfüllen würde. Es gingen viele Tage ins Land, es wurden viele Monate, aber mein Wunsch wollte sich offenbar nicht erfüllen. Irgendwann dachte ich nur noch flüchtig an diese Episode mit dem Hufeisen, welches den Menschen Wünsche erfüllt. Ein Jahr darauf kauften mir meine Eltern ein Fahrrad. Es war ein Fahrrad aus zweiter Hand, mit klappernden Schutzblechen und verblasstem, zerkratzen, ramponierten Anstrich. Es entsprach absolut nicht meiner Wunschvorstellung. Da kam mir die Erkenntnis,...Hufeisen erfüllen keine Wünsche.
Der Hufeisenförmige Abdruck im Gestein ist übrigens eine Kultstätte germanischen Ursprungs,...ein Thingplatz, ein Ort der Gerichtsbarkeit.