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geschrieben 2015 von Myrtelbaum (Myrtelbaum).
Veröffentlicht: 26.07.2015. Rubrik: Persönliches


Wissen ist Macht, nicht der Augenschein.

Ein fatales Erlebnis aus dem Unterrichtsfach Chemie, welches zu Anfang große Erwartungen in sich barg. Nachdem ich die Schule in der die unteren vier Klassen etabliert waren, gewechselt hatte und in die so genannte Mittelschule übergetreten war, erwartete mich ein neues Unterrichtsfach, die Chemie. Der erste Unterrichtstag und die darauffolgenden waren noch recht weit von meinen Vorstellungen entfernt. Es waren Vorstellungen, über Versuche und Experimente mit Feuer und Wasser. Der Unterrichtsraum unterschied sich in seinem Erscheinungsbild gravierend von den übrigen Klassenzimmern. Hier vermisste man den Geruch, der mit Ölspänen täglich gereinigten Fussböden.Der große Experimentiertisch war das hervorragende Merkmal, was sogleich an ein Laboratorium erinnerte. Ebenso war es der Eigengeruch dieses Raumes, der ein besonderes Flair hatte, und der sich an manchen Tagen in einer völlig anderen Nuance bot. Die Plätze auf den Bänken waren verteilt, wobei jeder beim ersten Betreten des Raumes darauf bedacht war, in den vorderen Reihen einen Platz zu ergattern, denn man wollte ja alles genauestens mitbekommen.
Anstatt aufregender Experimente musste man sich zunächst aber noch mit den kleinsten Teilchen der Stoffe, mit Molekülen und Atomen befassen. Dennoch freute ich mich immer auf den Tag, wenn dieser Unterricht auf dem Stundenplan stand. An solch einem Tag herrschte wieder einmal der übliche Lärmpegel im Klassenzimmer, bis unsere Lehrerin Fräulein Maier den Raum betrat. Sofort ebbte der Lärm ab, bis auch das letzte flüstern zum Nachbarn verstummt war. Fräulein Maier vollzog ihr übliches Repertoire, sie fuhr mit der Hand seitlich über ihre Kleidung, als wollte sie sich vergewissern, dass ihr Faltenrock seinen korrekten Sitz hatte, bevor sie hinter dem Arbeitstisch Posten bezog. An diesem Tag durften wir uns zum ersten Mal vor dem großen Experimentiertisch aufstellen, auf dem schon einige kleine Gerätschaften bereit gestellt waren. Wir stürzten mit lautem Getöse zu diesem Tisch, denn es galt wieder, in der ersten Reihe sind die besten Plätze.
Zunächst wurden zur Erinnerung einige Formeln an die Tafel geschrieben, um gelerntes wieder erinnerlich zu machen. Der inzwischen betriebsbereit gemachte Bunsenbrenner zeigte eine bläuliche Flamme. Demnach zu urteilen würde es an diesem Tag ein richtiges Experiment geben, so waren meine Gedanken. Es wurde etwas vorbereitet, und Vorgänge nahmen ihren Ablauf. Es dampfte und zischte in der kleinen flachen Glasschale, die mit ihrem Inhalt über der Flamme erhitzt wurde, und dann auf dem Tisch abgestellt wurde. Offenbar war es das Endergebnis des Versuches, was jetzt in der Schale zu sehen war.
Fräulein Maier blickte in die Runde, deutete mit der Hand auf die Glasschale und stellte die Frage,..."und was haben wir jetzt für einen Stoff gewonnen? Beiläufig zeigte ihre Hand auf die Formel an der Tafel.
Jeder, der diese Formel verstanden hatte, oder auswendig im Kopf hatte, sollte jetzt das Ergebnis kennen. Ich hatte diese Formel nicht verstanden und wusste nicht was sich hinter den Buchstaben und Zeichen, ein nach rechts zeigender Pfeil, sowie Klammer auf, Klammer zu, verbarg. Aber dennoch war ich mir sicher, dass ich allein schon vom Augenschein diesen Stoff in der kleinen Glasschale benennen konnte.
Das gleiche schwach gelbliche Pulver hatte meine Mutter im Haushalt zur Verwendung. Sie benutzte es, in Wasser aufgelöst, um frische Hühnereier, in einem Steintopf für längere Zeit haltbar zu machen, zu konservieren. Fast alle Arme flogen mit ausgestrecktem Finger in die Höhe, um damit kund zu tun, ich weiss es. Auch ich meldete mich in der üblichen Art, um mein vermeintliches Wissen zu signalisieren. Da ich sonst üblicherweise eher nicht in Erscheinung trat, zeigte Fräulein Maier mit der Hand auf mich, ich sollte die Antwort sagen.
Ich sagte mit überzeugender Stimme, ...das ist Garantol. Sekundenlang herrschte Stille im Raum, bis die ersten verhaltenen Lacher zu hören waren. Meine Antwort löste eine wahre Lachsalve in der Klasse aus. Fräulein Maier kniff die Augen zusammen und ließ ein lautstarkes, Ruhe bitte, vernehmen, indem sie noch beschwörend die Arme anhob. Sehr ergriffen hätte ich mich nun am liebsten unsichtbar gemacht. Ich konnte mich aber nur in die hintere Reihe verkrümeln. Indessen wurde die richtige Antwort mehrfach wie in einem Chor von den anderen Schülern genannt. Meine Schulnote in diesem Lehrfach war im Zeugnis leider immer sehr weit unterhalb angesetzt. Die Erkenntnis daraus war für mich eindeutig, nur Wissen ist Macht und nicht der Augenschein.




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