Veröffentlicht: 21.07.2023. Rubrik: Unsortiert
DER SÜSSWASSERKAPITÄN
Goldrausch im Binnenmeer? Beantwortet in der neuesten Wochengeschichte aus meiner Feder:
DER SCHÖNWETTERKAPITÄN
In einem kleinen Bergdorf auf über 1000 m Höhe besuchte ich die Schule. Ein verlorenes 'Kaff', wie wir Jungen es damals bezeichneten. Einheitsschule. Eine Klasse aller Stufen. Eine alte Lehrkraft, die beim Sprechen leicht müffelte. Magenprobleme, diagnostizierten wir in den Pausen, in denen wir zum Ausgleich frische Bergluft in unsere Lungen sogen. In unserem Ort war nichts los. Die weite Welt ausgesperrt, mit all ihren unterhaltsamen und gefährlichen Versuchungen, die wir so schmerzlich vermissten. Von der Weltabgeschiedenheit, die besonders in schneereichen Wintern zuschlug – selbst der Schneepflug fand öfters den Weg nicht mehr zu uns, blieb unterwegs stecken –, lenkte nur das Dorforiginal mit seinen skurrilen Erzählungen ab. Sein Spitzname lautete Schönwetterkapitän. Erzählen konnte er wie kein anderer. Betonte jedes Wort. Begleitete Sätze mit entsprechender Gebärdensprache, die windige Luftwirbel auslösten.
Er, dessen tiefe Gesichtsrillen auf ein fortgeschrittenes Alter und heftige Lebensstürme hinwiesen, gab seine so reichen Berufserfahrungen zum Besten. Erfahrungen, die er ausschmückte, damit diese wie Diamanten funkelten. Einmal war er Bergführer, obwohl im Dorf bekannt war, dass er unter Schwindel litt. An Nordhängen, erzählte er, war sein beherztes Eingreifen für ein erfolgreiches Ende einer halsbrecherischen Rettungsaktion entscheidend. Ein anderes Mal wurde er als Professor zur Erforschung des Erdinneren im fernen Amerika berufen, leitete eine Expedition zum Magmasee im Inneren eines Vulkans und kam mit Schrunden und Verbrennungen davon. Zeigte alsdann auf seine Oberschenkel und die darauf verzeichneten Brandnarben. Dann wiederum war er Kapitän auf einem Walfänger, der in der Arktis im Polareis eingeschlossen war und Weihnachten in eisiger Kälte feiern musste. Als Geschenk betrachtete er, so seine Erzählung, die Nordlichter, die ihm an seinem Geburtstag, der just am 24. Dezember in jenem Jahr stattfand, vom Himmel per Nachtkurier zugestellt worden waren.
Seine Paradeerzählung aber war seine Berufserfahrung als Süsswasserfischer auf einem Trawler im grössten Binnensee der Welt, der von Goldfischen nur so glänzte. Fischen mit Ausmassen von einigen Hundert Metern, die dem Schiff unter seinem Kommando mit ihren tödlichen Schwanzschlägen gefährlich werden konnten. Und auf dem See habe es von Fischern gewimmelt, denn ein richtiger Goldrausch sei ausgebrochen, kleinste Boote zu horrenden Preisen verkauft worden, denn Gold habe allerlei Gesindel angezogen. Die Jagd auf Goldschuppen sei für ihn und seine Mannschaft mehr als erfolgreich verlaufen. Leider sei das Schiff dann in einem gewaltigen Sturm von den Wellen in Tsunami-Höhe verschlungen und er als einziger mit leeren Taschen an das steinige Ufer gespült worden, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich in unser Bergdorf zurückzuziehen, in dem er geboren worden war.
Ja, er, der Schönwetterkapitän, ist mir in bester Erinnerung geblieben. Und als ich kürzlich aus nostalgischen Gründen mein Bergdorf besuchte, das ich seit meiner Schulzeit nicht mehr betreten hatte, warf ich auch einen Blick auf den Gottesacker vor der kleinen Kirche und war bass erstaunt, als ich auf einem Grabstein las:
‚HIER RUHT UNSER SCHÖNWETTERKAPTÄN‘,
und dabei daselbst einen Bonsai-Teich entdeckte, in dem sich munter sieben Goldfischlein schwanzschlagend tummelten.
Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:
S C H A R W Ä N Z E L N
Scharwänzelnd
Das globale Kaffeekränzchen
Tänzelnd Kaffee und süssen Kuchen
Innig schmatzend genüsslich konsumiert.
Kalorienverzehr verwerfend
Sinnig die Umwelt durchhechelt
Sich gegenseitig die Unschuld beteuert
Fällt dabei das Urteil über die gar so schlechte Welt.
Sich als Bewohner
In falschen Tönen
Laut Mampfend
Hierbei stets
Schonend.
Herzlichst
François Loeb
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