Veröffentlicht: 28.02.2023. Rubrik: Nachdenkliches
Nur ein Hund...
Er streckt sich noch einmal und gähnt ausgiebig, dann dreht er sich ein paar Mal um sich selbst und lässt sich auf die Decke plumpsen. "Na dann schlaf schön!", sagt Frauchen und verschwindet im Schlafzimmer. Er hört, wie sie sich seufzend auf ihrer Seite ins Bett legt, mit der Bettdecke raschelt und das Kopfkissen zurecht schiebt. Herrchens Seite bleibt leer. Nur sein Schlafanzug liegt dort. Herrchen ist vor ein paar Tagen fort gegangen und noch nicht wieder nach Hause gekommen - was er nicht verstehen kann. Irgendetwas ist merkwürdig, irgendetwas stimmt nicht, aber er weiß nicht recht was... Er seufzt auch, dreht sich zusammen, schmatzt noch ein, zwei Mal, schließt die Augen und schläft ein.
Die Nacht schreitet voran und er träumt davon, ein Kaninchen zu jagen. "Jipp, jippjipp", bellt er im Schlaf und seine Pfoten zucken wie bei einem schnellen Lauf. Aber was ist das? Plötzlich zieht ein Gewitter auf. Er hört Donnergrollen. Er hat Angst vor Gewitter. Der Donner wird lauter und er wacht auf. Das ist kein Gewitter. Es ist so laut. Gefahr! Gefahr, Frauchen, wach auf! Seine Nackenhaare sträuben sich. Er bellt. Frauchen! Draußen ein Pfeifton, wieder ein Donner - so laut, so laut, es schmerzt in den Ohren. Ein Jaulen entringt sich seiner Kehle. Er muss aufstehen und zu Frauchen, sie schützen. - Doch dazu kommt es nicht mehr. Wieder ein schrilles Pfeifen und Heulen und dann ein Krachen, Knacken und Bersten. Ein Schmerz durchdringt seine Hüfte, seine Seite. Er winselt. Dann ist nichts mehr...
Schmerzen, Staub, Rauch - er kann kaum atmen. Er hebt den Kopf und hechelt. Solche Angst, was ist los? Er will aufstehen, nach Frauchen sehen - aber er kommt nicht hoch! Etwas liegt auf seinem Rücken, etwas klemmt ihn ein! Er versucht es noch einmal. Er winselt vor Schmerz, will weg hier, aber es geht nicht! Panik überfällt ihn und er rudert verzweifelt mit den Vorderbeinen, kratzt die Decke unter den Bauch, kratzt mit den Pfoten auf dem Boden. Trotz der Schmerzen robbt er sich langsam vor, langsam frei...
Er wird jetzt zu Frauchen gehen. Aber er kann nicht richtig laufen. Es tut so weh! Er wendet den Kopf und leckt Blut aus dem Fell, dabei fällt er auf die Seite. Sowas! Er schleppt sich zum Bett und leckt die Hand, die ihn sonst streichelt, jetzt aber nur schlaff herab hängt. Auf dem Bett liegen Steine und ein Balken aus Holz liegt quer über Frauchen... Falsch, ganz falsch! Er winselt, sucht ihr Gesicht leckt Blut aus ihrem Mundwinkel. Traurigkeit erfasst ihn. Da wirft er seinen Kopf in den Nacken und heult. Heult laut und klagend seinen Schmerz in die Welt. Irgendwann lässt er sich erschöpft und zitternd zu Boden sinken und es wird schwarz um ihn.
Winselnd wacht er auf und stößt seine trockene Nase in Frauchens kalte Hand. Er ist durstig! Er schleppt sich zu seinem Wassernapf und schlappt die staubbedeckte Flüssigkeit gierig auf. Draußen hört er Schritte, aufgeregte Stimmen, Schreie, Poltern. Plötzlich sind fremde Leute im Haus! Er knurrt. Eine Frau schreit auf und beginnt zu weinen. Er knurrt. Niemand beachtet ihn. Jetzt schnappt er nach dem fremden Mann, der Frauchen anfasst! Der tritt ihn in die Seite. Der Schmerz entlockt ihm ein lautes Quietschen und er robbt in eine Ecke. Die Leute räumen die Steine vom Bett und als sie den Balken anheben, können sie gerade noch die Tote vom Bett auf eine Decke ziehen, bevor die ganze Wand krachend nach außen kippt.
Die Männer tragen Frauchen fort! Er muss hinterher. Seine Hinterläufe gehorchen nicht und mühsam schleppt er sich auf die Straße, mal den einen, mal den anderen aufsetzend, die Vorderläufe in den Boden stemmend, winselnd vor Anstrengung und Verwirrung. Wo gehen sie hin? Wo ist er überhaupt? Alles sieht so anders aus, riecht so anders. Scherben liegen auf der Straße und in eine ist er jetzt hinein getreten. Nun blutet die linke Vorderpfote. Kurz leckt er darüber - er muss weiter, muss Frauchen finden!
Schutt, wo gestern noch Häuser standen und der Rauch und der Staub, der darüber liegt, lässt seine Nase brennen. Er niest einmal, zweimal, schon wieder ist er durstig und so furchtbar erschöpft... Er setzt sich hin und mit letzter Kraft sendet er Frauchen ein Heulen hinterher, das die Menschen, die es hören, bis ins Mark erschüttert. Aber sie haben keine Zeit für einen verletzten, verlassenen Hund.
Er ist müde, so müde. Da sieht er eine halb eingestürzten Schuppen. Dorthin zieht er sich mit den Vorderpfoten. Seine Hinterläufe bereiten keine Schmerzen mehr, er spürt sie nicht mehr. Er kriecht hinter einen Stapel Brennholz, hier lässt er sich fallen, leckt die blutige Vorderpfote, hechelt. Sein Körper wir in Wellen von einem Zittern erfasst, er friert plötzlich und er hat solchen Durst. Draußen wir es wieder dunkel. Er fühlt sich so schwach, kann nicht aufstehen, bleibt einfach liegen. Er schließt seufzend die Augen und legt den Kopf auf die Vorderpfoten...
Doch was ist das? Plötzlich sieht er sein Herrchen, da hinten auf der Wiese - und Frauchen ist auch dort! Herrchen lacht und hält sein Bällchen, sein geliebtes Bällchen in der Hand! Er ruft seinen Namen! "Hol das Bällchen, na los, hol!" - Ja, Herrchen, oh ja, ich komme! Was für eine Freude! Was für ein Glücksgefühl in seiner Brust! Der Ball fliegt über die Wiese in Richtung Wald und er rennt, er springt, fängt, dreht sich um - und dann wird alles hell und warm und ganz, ganz leicht...
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Am nächsten Tag wird ein weiterer Tierkadaver auf einen Haufen geworfen und mit etwas Brennholz und Benzin verbrannt...
Bei all den toten Kindern, Frauen und Männern, dürfen wir um den Hund trauern? Ist er nicht ein Mitgeschöpf gewesen, welches ebenso sinnlos gestorben ist???