Veröffentlicht: 12.12.2022. Rubrik: Persönliches
Erinnerungen
Ich denke oft an meine Oma -gerade jetzt, in der Adventszeit.
Der Geruch nach gebackenem Kuchen und frisch aufgebrühtem Kaffee empfing meine Eltern und mich schon an der Wohnungstür, wenn wir die Großmutter besuchten. Ich habe diesen Duft noch immer in der Nase. Er versprach einen gemütlichen Nachmittag und meist auch ein kleines Geschenk auf meinem Kuchenteller. Vielleicht ein Lutscher, ein kleines Täfelchen Schokolade oder ein paar Sahnebonbons?
"Kaffeekochen" lief damals noch recht anders ab, als heute. Es war ein geheiligtes Tun! Zuerst wurden die ganzen Bohnen in der Kaffeemühle gemahlen. Diese klemmte sich meine Oma zum leichteren Drehen der Kurbel zwischen die Knie. Das Geräusch habe ich noch im Ohr - zumal ich es auch manchmal selbst versuchen durfte. Ganz schön schwer fand ich das! Meine Großmutter wusste "echten Bohnenkaffee" sehr zu schätzen, hatte sie doch zwei Weltkriege erleben müssen!
Das frisch gemahlene Kaffeepulver wurde durch einen Filter im Filteraufsatz aus Keramik mit heißem Wasser übergossen und floss direkt in die Kaffeekanne. Auch die geregelte Zugabe des kochenden Wassers war eine Kunst, die es für mich noch zu erlernen galt - sofern nicht Oma oder Mutti den Umgang mit dem heißen Wasserkessel doch für noch zu gefährlich hielten... Meist war der Kaffee aber bereits "durchgelaufen", wenn wir erschienen.
Den Kuchen, für uns nur das Beste, hatte Oma mit "guter Butter" und drei SOLCHEN Eiern gebacken, wie sie uns versicherte und dabei ihre kleine Faust reckte! Diese Aussagen waren keine Prahlerei sondern Ausdruck des Glücks, solche Zutaten verwenden zu können - hatte sie doch immer wieder Armut und Not erleben müssen. Es erfüllte sie mit großer Zufriedenheit, uns - Sohn, Schwiegertochter und Enkelkind - reich bewirten zu können! Es schmeckte uns natürlich ganz ausgezeichnet. Besonders beliebt war bei uns der "Königskuchen", mit Rosinen, Mandeln, Orangeat und Zitronat und einer Spur von Rum, aber nur ein Finderhut!!!
Während Oma für mich Kakao bereit hielt, goss sie den Erwachsenen aus der "guten Kaffeekanne" (die unter dem Ausguss ein Schaumgummipümpelchen trug, damit die Tropfen aufgefangen wurden!) ein. Das heiße Getränk, von Mutti und Oma hoch gelobt, wurde von meinem Vater profaner beurteilt - wahlweise: "Da bleibt ja der Löffel drin stehen!" oder "Mit dem kann man ja Tote wecken!" Einigkeit bestand jedoch darüber, wie gut der Kuchen schmeckte. Oma schnitt für jeden dann noch einen "ordentlichen Rampften" ab.
Ich erinnere mich an die Atmosphäre von Wärme, Zufriedenheit und Geborgenheit, die den Raum für mich erfüllte...
Meine Großmutter hatte schlimme Zeiten durchlebt. Aufgewachsen in bitterer Armut in Ostpreußen, verlor sie im ersten Weltkrieg den Verlobten. Anfang der 1920er Jahre kam sie dem Vater dann "ausgerechnet mit einem Juden" daher... Nach einer Zeit des Glücks folgten die 1930er Jahre. Ihre Söhne galten nun in der katholischen Gemeinde als unehelich. Sie wechselte zur evangelischen Gemeinde, beide Söhne wurden konfirmiert. Mehr und mehr wurde die Familie in der Nachbarschaft schief angeguckt oder gar gemieden. Der Vater verlor seine Aufträge und schließlich wurden die Möbel aus der Wohnung getragen.
Anfang 1939 kam das Aus für das Familienleben. Kurz zusammen gefasst: Der jüngere Sohn wurde mit den "Kindertransporten" weinend nach England geschickt (mein Vater) der ältere überlebt im Untergrund , der Vater wurde in einer Gartenlaube versteckt. Er überlebte, starb aber kurz nach "der Flucht" in Berlin. Mein Vater hat ihn nie wieder gesehen.
Trotz allem hatte meine Großmutter sich nicht "brechen" lassen und sich auch nicht die Fähigkeit, Liebe zu geben, nehmen lassen! Ich genoss das Zusammensein mit ihr, oft durfte ich den Nachmittag bei ihr verbringen. In der Adventszeit buken wir Plätzchen und den leckersten Lebkuchen der Welt... Der Duft und die Wärme umfingen uns in ihrer Küche mit dem Gasherd und dem alten Küchenbuffet!
Dann kam der "Berliner-Mauerbau".
Fassungslosigkeit und Angst, vor dem, was kommen könnte, lähmte die Menschen. Obwohl noch ein Kind, spürte ich das sehr deutlich! Westberlin war kein sicherer Ort, kein Ort mehr, an dem sie ihre Tochter aufwachsen lassen wollten, so beschieden es meine Eltern. Mein Vater ergriff die Chance eines beruflichen Aufstiegs "im Westen". Wir zogen ins Ruhrgebiet.
Ein halbes Jahr später brach meine Oma an der Bushaltestelle zusammen und verstarb am Tag darauf im Krankenhaus. Obwohl wir nach Berlin geeilt waren, trafen wir sie nicht mehr lebend an. Heute frage ich mich, ob unser Umzug einen Teil dazu beitrug. Ich weiß es nicht...
Morgen werde ich Lebkuchen backen, das Rezept habe ich noch - und ich weiß, wenn der Duft meine Küche erfüllt und ich meine Augen schließe, dann sehe ich meine Oma vor mir und sie wird lächeln...
Auch wenn die Zeit nicht wiederkehrt, so bleibt uns doch die Erinnerung. Wer im Herzen weiterlebt, der stirbt nicht - heißt es nicht so?