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geschrieben von Federteufel.
Veröffentlicht: 20.11.2022. Rubrik: Unsortiert


Onkel Heriberts Auferstehung und vorläufiges Ende

Ich zäume jetzt mal das Pferd von hinten auf, d. h., ich erzähle jetzt – eure Erlaubnis vorausgesetzt – was zu seinen Lebzeiten sonst noch an Absonderlichem geschah. Normalerweise ist das körperliche Leben des Menschen mit seinem Tode beendet. Doch das würde schlecht zu einem Mann wie Onkel Heribert passen, der ständig gegen den Strich lebte, und dessen Kopf voller Schnurren war wie eine alte Mütze mit Schuppen. Also lasse ich ihn zumindest schriftlich wieder auferstehen.
Er war schon ein irrer Typ, der Gute. Ich meine das jetzt keineswegs abschätzend, im Gegenteil; aus der vielarmigen Verwandtschaft war er mir einer der Interessantesten und Schillerndsten. Mir irgendwie auf eine überraschende Weise wesensverwandt. Etwa was seine ästhetische Empfindsamkeit betraf. So brachte er mir zum Beispiel den Unterschied zwischen Deckweiß und Zahnpasta bei und behauptete, auch das knalligste Bild von Kandinski sei nicht bunt, sondern farbig, Kunst käme von Können und nicht von Wollen sowie andere un-nützliche Weisheiten. Dabei war er keineswegs Everybody´s Darling. Besonders seit dem warmen Herbsttag, an dem ihn eine Nachbarin beim Pilzesammeln dabei beobachtete, wie er nur mit einem Rucksack bekleidet durch den Wald joggte (in welchem Kostüm er sich auch erhängt hatte). Als ihn seine Frau darauf ansprach, sagte er rotzcool: „Mich stört´s nicht.“ Typisch Heribert. Dabei war er dem allgemeinen Mainstream nur um ein paar Jahrzehnte vorausgeeilt. Heute befindet sich in ebendiesem Wald ein offizieller Nacktwanderweg.
Sagte ich schon, dass er ein perfekter Hobbytischler war? Ja! War er! Das reinste Naturtalent! Was der Mann auch alles zusammenleimte und -nagelte; unglaublich! Ich erspare euch die Beschreibung dieser seltsamen Dinge, würde ja doch niemand glauben. Jedenfalls war ich hoch gespannt, als er mich eines Tages – es war etwa zwei Jahre vor seinem tragischen Ende – mit geheimnisumwitterter Miene in seine Werkstatt mitnahm, sein Heiligtum, das außer ihm niemand betreten durfte. Ich erwartete nichts Bestimmtes, denn Heriberts Bastel-Fantasie schlug jede Erwartung schon im Vorfeld; doch was er mir dann zeigte, hätte ich sowieso nie erwartet. Kurz: Er zeigte mir ein längliches Gebilde in Sargform, das aufrecht an der Wand stand; aus Brettern vom Sperrmüll sorgfältig zusammengenagelt. Er öffnete die Tür; ich blickte auf eine wohlsortierte Minibar.
„Indem ich ständig meinen Sarg vor Augen habe“, fing er etwas theatralisch an, „verliert der Gedanke an den Tod allmählich seinen Schrecken. Und wenn er mich in finsteren Nächten doch übermannt, bediene ich mich aus der Bar. Noch ein paar Monate, und ich bin soweit, dass ich mich auf die Zeit in meinem Sarg freue.“
„Wie!“ rief ich verblüfft, „Du willst dich in dem Teil beerdigen lassen? Geht das überhaupt?“
„Natürlich geht das!“, rief er, „sonst hätt ich ihn ja nicht gebaut! Ich habe einen Beerdiger ausfindig gemacht, der selbstgebaute Särge akzeptiert. Sie müssen nur bestimmten Mindestanforderungen entsprechen, etwa was die Größe und die Ausstattung betrifft.“
„Du meinst die Minibar?“
„Unsinn! Ich meine entsprechende Größe, weiße Laken und Polsterung.“
„Musste es denn unbedingt Holz vom Sperrmüll sein?“
Er blickte mich ärgerlich an. „Warum denn nicht? Wer bin ich denn, dass meinetwegen ein guter gesunder Baum sterben muss? Und außerdem, hihi“ – er rieb sich die Hände – „das Geld, das ein konventioneller Sarg kosten würde, kann ich sinnvoller verwenden!“
Und dann sah es so aus, als habe er sich mit solchem Gerede nicht nur bei der Verwandtschaft, sondern auch im Himmel unbeliebt gemacht. Am Tag vor seiner Beerdigung fegte eine Windhose über die Stadt und riss eine Schneise der Verwüstung durch den Friedhof. Umgestürzte Bäume bedeckten die Grabstelle; es dauerte drei Tage, bis das Chaos beseitigt war und Heribert endlich in die Grube fahren konnte.
Wie man auch immer darüber denken mag: So wie er lebte, so war auch sein Ende: Wunderlich.
Wenn ihr nun denkt, mit seiner Beerdigung sei das Kapitel Heribert abgeschlossen, dann irrt ihr euch. Er gehörte zu den Menschen, die auch noch nach ihrem Tode Verwirrung stiften. Aber davon später.

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