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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von Onivido kurt.
Veröffentlicht: 20.09.2022. Rubrik: Unsortiert


Ein karibisches Idyll

Oliver war allein. Seine Söhne waren ausgewandert. Auch seine Ehefrau hatte es vorgezogen nach Europa überzusiedeln, um ihre Schwiegertöchter mit periodischen Besuchen zu beglücken. Er hatte sich in einem Häuschen am Rand eines kleinen Fischerdorfs niedergelassen. Häuschen war nicht ganz zutreffend. Es war nicht viel mehr als eine Hütte, aus Ziegelsteinen erbaut, mit einem Wellblechdach und dem Luxus eines Badezimmers und eines Computers.

Man hätte das Dörflein paradiesisch nennen können. Es schien vor sich hinzuträumen, eingeklemmt zwischen einer Cordillera, die schroff in den tropischen Himmel ragte und einer palmenbewachsenen Bucht. Auf den Steilhängen um das Dorf gediehen unter den Baumriesen Café- und Bananenstauden. Mangobäume spendeten Schatten zwischen den meist aus Lehm gebauten, weiss getünchten Häusern. Auf dem Landweg war der Ort nur über eine enge Schotterstrasse zu erreichen. Sie schlängelte sich von nebeliger Höhe hinunter zum Meer durch düsteren Regenwald und Schlammlöcher, manchmal nur einen Fuss breit von tödlichen Abgründen entfernt. Dies half den Ausflügleransturm an den Wochenenden in Grenzen zu halten, dennoch hatte sich das Leben im Dorf gewandelt. Die Zeit war nicht stillgestanden. Eine Flasche Rum zum gerösteten Fisch und dem gelegentlichen “baile de tambor “– dem Tanz zu den Trommeln waren jetzt nicht mehr genug. Motorräder, Fernseher, Videokameras, Mobiltelefone, Playstations und Laptops hatten ihren Einzug gehalten. Viele der jungen Leute aus dem Dorf arbeiteten in den Grossstädten, hausten dort in den Armenvierteln und hatten Slum-Gewohnheiten eingeschleppt. Diebstähle und Drogenhandel waren die Folge.

Oliver lebte bescheiden von seinen eigenen Avocados, Mangos und Bananen und dem Erlös aus gelegentlichen Computerarbeiten.
Im Dorf munkelte man, er hätte Geld, sei nur zu geizig, um es auszugeben. Das verhalf ihm trotz seines fortgeschrittenen Alters, - vor einer Woche hatte er seinen dreiundsiebzigsten Geburtstag nicht gefeiert, - zur Aufmerksamkeit der mehr oder weniger stark pigmentierten, welkenden Dorfschönheiten.
Patricia hatte sich die Ungunst mehrerer Geschlechtsgenossinen zugezogen, weil Oliver gerne eine Fischsuppe bei ihr ass. Ihre Neiderinnen tuschelten über nächtliche Besuche Patricias im “Rancho” Olivers. Das war zwar nur ein Gerücht, aber Abelardo, der Eigentümmer eines Peñeros hatte die beiden einmal nach Chichiriviche mitgenommen. Das ist ein von Touristen überlaufener Ort, ein gutes duzend Seemeilen entfernt. Dort hatte Oliver Patricia in der Boutique eines Hotels eine “manta guajira” gekauft, ein farbenprächtiges, knöchellanges Kleid, wie es die Wayuufrauen tragen. Sie hatte es nach der Anprobe nicht mehr abgelegt. Danach hatten sie im Hotel gegessen und sogar getanzt.
Das berichtete Abelardo und Abelardo war ein Mann der selten log und fast nie übertrieb.
“Una manta guajira! Wahrscheinlich damit er ihre Fettpolster nicht sieht”, geiferte Inocencia, als ihr die Sache zu Ohren kam.
“Na, und ihr Riesenarsch fällt auch nicht so auf “, ergänzte Juana.
“Ihr seid ja nur neidisch”, spottete Sujei eine Nichte Patricias, die jung und hübsch genug war, um solche Gefühle nicht zu hegen, “weil sie keinen Fettwanst hat wie ihr.”.

Und so kam es, dass Oliver trotz seines bescheidenen Lebenswandels in den Ruf eines begüterten Mannes kam. Die Geschichte ging von Mund zu Mund, verbreitete sich von Dorf zu Dorf und Oliver wurde beim Weitererzählen immer wohlhabender und schliesslich war er als reicher Eigenbrödler bekannt.
An dem Tag, an dem sein beschauliches Dasein ein plötzliches Ende fand, war er gerade von einem morgendlichen Strandbesuch zu seinem Häuschen geschlurft, hatte sich unter der Dusche das Salz von der Haut geschwemmt und döste in der Hängematte unter dem Vordach.
Ein Stoss, er fiel auf den Steinboden, versuchte aufzustehen, erhielt einen Fusstritt, fiel wieder und blieb liegen.
“Steh auf alter Drecksack! Rück deine Moneten raus!”
Jemand packte ihn an der Schulter und zog ihn nach oben. Oliver sah drei bullige Männer. Einer hatte eine Pistole auf ihn gerichtet; eine Pistole wie sie Polizisten im Dienst benutzten. Sie hatten ihre Gesichter nicht verdeckt. Das bedeutete, dass es ihnen nichts ausmachte, wenn er sie wiedererkennen konnte. War das sein Todesurteil?
Oliver hob den Blick und sah die Laubkrone seines Mangobaumes. Was würde aus seinem Lieblingsbaum werden, wenn sie ihn umlegten? Würde man ihn absägen, um das Haus vergrössern zu können? Wann würden seine Söhne von seinem Tod erfahren? Was würde seine Frau sagen?
“Selber schuld! Er wollte ja unbedingt in diesem Land bleiben.”
Würde jemand eine Träne nach ihm weinen?
Patricia? Wer weiss?

Er hatte keine Angst vor einem schnellen Tod. Alt genug war er. Besser so, als ein einsames Dahinsiechen. Aber dennoch, von diesem Abschaum würde er sich nicht hinrichten lassen, nicht kampflos. Er war ein alter Mann, aber eben ein Mann.
Aus den Augenwinkeln sah er Patricia auf das Haus zukommen. Noch ehe er einen Warnschrei ausstossen konnte, war einer der Gangster an ihrer Seite und presste ihr eine Pistole in die Rippen.
“Komm her, Negra! Sieh mal, wie dem alten Knacker die Knie schlottern vor Angst.”
Patricia stiess einen schrillen Schrei aus. Ein brutaler Schlag ins Gesicht liess sie verstummen. Der Mann zerrte sie ins Innere der Behausung. Die beiden Typen an Olivers Seite schoben ihn hinterher.
“Damit du siehst wie man eine Frau richtig fickt.”
Der Mann an der Seite Patricias versuchte sie auf den Rücken zu zwingen, aber da sie keineswegs zierlich gebaut war, versagte er kläglich. Er nahm die Pistole zu Hilfe.
“Auf den Boden, puta!” schrie er sie an.

Oliver hinkte einen Schritt auf die beiden zu, stolperte und fiel zu Boden. Auf den Knien krabbelte er auf sein altes Fernsehsofa zu. Ein Fusstritt in sein Gesäss; bäuchlings schlitterte er auf dem gewachsten Tonfliesenboden mit dem Kopf gegen das Möbel. Seine ausgestreckten Arme waren bis unter das Sofa gelangt. Als er sich auf den Rücken drehte und die Arme unter dem Sofa hervorzog, hatte er eine Glock in der rechten Hand. Sein erster Schuss traf den Mann in den Bauch. Der zweite ins Gesicht. Er fiel auf Oliver. Der Kerl, der Patricia bedroht hatte, zielte auf Oliver. Drei Kugeln durchbohrten den Mann, ehe er abdrücken konnte. Der überlebenden Bandit flüchtete.

Patricia wimmerte leise. Oliver umarmte sie.
“Es ist schon alles vorbei”, flüsterte er und küsste sie auf die Stirn. So standen sie aneinandergeklammert, bis sich die ersten Dorfbewohner heranschlichen, von den Schüssen angelockt, mit Macheten und Schrotflinten bewaffnet .
“¡Cuida la casa, mi reina!” sagte er, - “pass auf das Haus auf!”
Patricia schwieg.
“Ich muss für eine Weile verschwinden”, erklärte er.

Peñero: offenes Fischerboot mit Aussenbordmotor

Manta Guajira: http://www.google.com/search?q=manta+guajira+foto&hl=es&lr=&rlz=1I7GPEA_es&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=EU-2T-f4J4zY8QP1he2iCg&ved=0CF0QsAQ&biw=1024&bih=574

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von ehemaliges Mitglied am 21.09.2022:
Kommentar gern gelesen.
Klingt für ältere Mitteleuropäer verlockend, Onivido - erster Reflex: Nix wie hin! Aber dann der Blick hinter die Kulisse des Tropenparadieses: Das mit den Dorfschönheiten scheint machbar; die Abwehr von brutalen Desperados ist eher etwas für Jüngere, es sei denn, man ist wehrhaft wie der alte Macho Oliver. Saludos!




geschrieben von Onivido kurt am 22.09.2022:

Ja, es hat eben alles zwei Seiten, manchmal sogar drei.Dieser Alte ist nicht nur wehrhaft, sondern aber auch gemein. Laesst er doch die Banditen glauben er sei so tatterich , um zu stolpern und auf den Boden zu fallen. Saludos///Onivido

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