Veröffentlicht: 24.07.2022. Rubrik: Fantastisches
Ein japanisches Abenteuer (Teil 1/2)
[Diese Geschichte lässt sich eigenständig lesen, auch wenn sie zu der Reihe der Schneckenabenteuer gehört. Die kleine Zauberschnecke wollte schon vor einem Jahr zu einem großen Abenteuer aufbrechen. Jetzt ist es endlich so weit.]
Der kleine grüne Drache schoss durch die Luft, wie ein Pfeil. So schnell war er in seinem ganzen langen Drachenleben noch nicht geflogen. Aber er war auch noch nie von einem Monster verfolgt worden. Auf seinem Rücken saß die kleine graue Zauberschnecke und schrie auf vollem Hals. Ob sie schrie, weil sie verfolgt wurden, oder, weil der Drache in scharfen Kurven zwischen den Bäumen durch flog, war nicht ganz klar. Hinter ihnen war im Moment jedenfalls nichts zu sehen. Das schien auch dem Drachen bewusst zu werden und er landete schlitternd auf dem Waldboden. Schnaufend und nach Atem ringend, drehte er sich um. Die Schnecke rutschte von seinem Rücken.
„Was, um alles in der Welt war das denn?“, keuchte die Schnecke. „Als die Leute von einem Monster geredet haben, das im Wald wohnt und alles fängt, was laufen kann, hatte ich mir das irgendwie nicht so vorgestellt. Ich weiß nicht wie, aber nicht so rot und nicht so böse und nicht so groß und nicht so wild.“
„Du wolltest doch unbedingt auf ein Abenteuer gehen“, beschwerte sich der Drache. Langsam kam er wieder zu Atem.
„Ja und ich dachte dabei erst mal an was kleines, also so zu unserer Größe passend und nicht an ein großes Ungetüm. Was war das? Das sah aus wie eine Kreuzung aus Oger und Teufel.“
„Das war ein Oni“, sagte der Drache.
„Ein was?“, fragte die Schnecke verblüfft.
„Ein Oni. Ich habe mich etwas belesen, seit du vorhattest mit mir auf ein Abenteuer zu gehen“, erklärte der Drache.
„Und was ist ein Oni? Der Begriff klingt etwas zu niedlich für dieses Ungeheuer, wenn du mich fragst.“
„Oni gehören zu den Yokai. Das sind japanische Dämonen.“
„Und wie bekämpft man die?“, wollte die Schnecke wissen.
„Keine Ahnung.“
„Na, super“, sagte die kleine Schnecke. „Ich bin auf einem Abenteuer mit einem belesenen Drachen, der zwar alle Monster benennen kann, aber nicht weiß, wie man sie bekämpft. Da hättest du lieber deine Kampffähigkeiten trainieren sollen, als Bücher zu lesen.“
Sie hörten das Knacken von Zweigen und ein tiefes brummendes Grollen. Dann tauchte der massige Körper des Oni zwischen den Bäumen auf. Seine Haut war rot, er hatte zwei Hörner auf dem Kopf und zwei lange Fangzähne, die aus seinem Maul heraus ragten.
Die Zauberschnecke flitzte, mit einem gar nicht heldenhaft klingenden Fiepen, auf den Rücken des Drachen und dieser erhob sich sogleich in die Luft. Mit wenigen Flügelschlägen hatte er an Geschwindigkeit zu gelegt und sauste wieder zwischen den Baumstämmen durch.
„Ich schlage vor, wir recherchieren erst mal noch ein bisschen, bevor wir hier her zurück kommen“, rief die Schnecke dem Drachen zu. „Ja, das ist eine gute Idee“, stimmte der Drache zu und hängte den Oni ab.
Ein paar Tage später kroch die kleine graue Zauberschnecke in die Drachenhöhle. Sie hatte die passende Größe für den 20 Zentimeter großen Drachen. War allerdings recht karg. Die Wände waren aus rauem Stein und die Einrichtung äußerst spärlich, aber so ein Drache brauchte wohl nicht viel.
Als die Schnecke herein kam, saß der Drache zwischen mehreren Bücherstapeln.
„Hallo, hast du was herausgefunden, über den Oni?“, fragte die Schnecke.
„Nur ein paar Mythen, aber nichts was einem sagt, wie man ihn erledigen kann“, meinte der Drache bekümmert.
„Du bist auch reichlich altmodisch, bei deiner Recherche. Heute gibt es sowas, wie das Internet.“
„Und hast du was im Internet gefunden?“
„Nein, nichts Verlässliches“, gab die Schnecke kleinlaut zu. „Vielleicht bräuchten wir eine Waffe, ein gutes Schwert oder etwas in der Richtung.“
„Dann bräuchten wir auch einen Schwertkämpfer“, meinte der Drache.
„Wieso?“, fragte die Schnecke. „Nur weil ich keine Hände habe, heißt das doch nicht, dass ich kein Schwert führen kann.“
„Wenn du meinst.“
„Glaubst du mir nicht?“
„Selbst wenn du das hinbekommst, bräuchtest du doch etwas Zeit, um das zu üben. Und der Oni richtet viel zu viel Unheil an, als dass du noch viel Zeit zum Üben hättest.“
„Ich glaube aber nicht, dass sich in kürzerer Zeit ein guter Schwertkämpfer finden lässt“, gab die Schnecke zu bedenken.
„Gut, dann besorg’ dir ein Schwert und übe fleißig“, sagte der grüne Drache in Lehrermanier.
„Sehr wohl, großer Meister“, sagte die Schnecke und drehte sich um, die Höhle zu verlassen. Doch sie zögerte und sah den Drachen an. „Kennst du zufällig einen Waffenschmied?“
„Nein, die sind heute äußerst rar“, meinte der Drache.
„Weißt du, wo man eins kaufen kann? Oder liegt hier vielleicht irgendwo ein Felsbrocken herum, in dem ein Schwert steckt?“
Der Drache lachte. „Du bist doch diejenige, mit dem Internetzugang. Ich dachte da kann man alles kaufen.“
„Bestimmt“, sagte die Zauberschnecke nachdenklich und machte sich auf den Weg.
Die Tage vergingen. Die Schnecke hatte sich ein Schwert besorgt und es mit einem Zauber auf ihre Größe geschrumpft. Sie übte fleißig, doch es dauerte alleine zwei Tage, bis sie das Schwert in der Luft schweben lassen konnte.
Nun wanderte sie mit dem Drachen durch den Wald und schnitt den Weg mit dem Schwert frei. Das Schwert wirbelte dabei durch die Luft und folgte ihren Befehlen nicht immer so direkt, wie sie es gerne gehabt hätte. Bei jeder Bewegung zog das Schwert eine gräulich- rosa- farbene Glitzerwolke hinter sich her. Als die Schnecke mit mehreren Hieben einen dicken Farn durchtrennte, wurde die Wolke so dick, das der Drache zu niesen begann.
„Geht das nicht ohne dieses Glitzerzeugs?“, fragte die grüne Echse.
„Nein, das ist meine Magie, die wirkt so“, erklärte die Schnecke, während das Schwert zum nächsten Farn wankte.
„Sieht für mich ein bisschen so aus, als wenn das Schwert ein Eigenleben hat“, meinte der Drache. „Was meinst du wie dick ist so eine Oni- Haut? Lässt sie sich mit einem Farn vergleichen?“
„Ich glaube nicht, dass sie besonders dick ist. Vielleicht etwas dicker, als Menschenhaut“, meinte die graue Schnecke und betrachtete eine Fuchsspur auf dem feuchten Waldboden.
„Gut, dann müsste der Zahnstocher ja reichen“, meinte der Drache.
„Hast du gerade mein Schwert als Zahnstocher bezeichnet?“, empörte sich die Schnecke, während sie sich der gigantischen Baumwurzel eines umgestürzten Baumes näherten. „Es braucht dringend noch einen Namen“, fuhr sie fort. „Irgendetwas mächtiges, magisches, furchteinflößendes. Dann wird es auch nicht mehr als Zahnstocher bezeichnet.“
„Wenn du meinst“, sagte der Drache und reckte den Kopf schnuppernd in die Luft. „Es riecht nach Fuchs und nach Feuer.“
„Können Füchse jetzt auch Feuerspeien?“, fragte die Schnecke.
Sie gingen um die Wurzel herum, die sich auf der anderen Seite, als eine dunkle Höhle entpuppte. Etwas bewegte sich darin. Sie schauten in die Dunkelheit und erstarrten.
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