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4xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 20.01.2022. Rubrik: Menschliches


Das Geständnis auf dem Sterbebett

„Ich mache mir Sorgen um Paula“, sagte die eine Freundin zur anderen. „Sicher, es ist schlimm, mit zweiundzwanzig schon beide Eltern verloren zu haben, dazu noch auf so tragische Weise. Ihr Vater verunglückte ja tödlich, und jetzt vor vier Wochen ist ihre Mutter an Krebs gestorben. Aber dass sie sich so völlig abkapselt und nicht mal mit uns reden will…“

„Ja, das ist merkwürdig. Vor allem deswegen, weil sie sich doch gar nicht so besonders mit ihrer Mutter verstand. Dass sie trotzdem dermaßen tief trauert…“

Keine der beiden jungen Frauen wusste, dass Paulas Schockzustand keine Trauer war, sondern Entsetzen. Entsetzen über etwas, was ihre Mutter ihr in ihren letzten wachen Minuten, bevor sie in den Tod hinüberglitt, anvertraut hatte.

*

„Paula“, hatte Anita Körner auf ihrem Sterbebett mit schwacher Stimme gesagt, „ich muss dir etwas sagen. Du bist zwar die Tochter von Papa, aber nicht von mir. Sondern von meiner Cousine Hanna, die in der Stadt lebte, aus der wir stammen und in der du geboren wurdest.“

Paula glaubte, sich verhört zu haben. Ihr erster Gedanke war: Sonst ist es doch bei Kuckuckskindern immer umgekehrt! Und weiter: Das kann nicht sein, ich gleiche Mama doch aufs Haar! Bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Anita fort:

„Ich konnte nach einer Fehlgeburt kein Kind mehr bekommen, wollte aber unbedingt eins haben. Hanna und ich waren gleichaltrig und sahen uns sehr ähnlich, fast wie Zwillinge. Dein Papa, Hanna und ich kamen auf die Idee, dass sie sich als Anita ausgeben und an meiner Stelle Papas Kind zur Welt bringen sollte.“

Paula rätselte bereits, wie dies zustande gekommen sein könnte, als Anita ganz offen sagte: „Wir führten eine tolerante Ehe, und ich hatte nichts dagegen, dass mein Mann mit meiner Cousine schlief. Ist ja nur Sex, damit ich ein Kind kriege, dachte ich. Tatsächlich wurde Hanna sofort schwanger, zog bei uns ein und nahm nach außen meine Identität an. Und ich ihre. Zum Glück hatten wir kaum Kontakt zu Nachbarn, sodass der Schwindel nie aufflog. Ja, und dadurch habe ich dich bekommen.“

„Dann verdanke ich dieser Sache also mein Leben“, stammelte Paula und streichelte Anitas Hand. Doch sie fühlte mit banger Ahnung, dass dies nicht das Ende der Geschichte war. Nachdem sie einige Minuten vergeblich darauf gewartet hatte, dass Anita weiterreden würde, fragte sie: „Was ist denn aus Hanna geworden?“

Die Sterbende zögerte. Mit immer schwächer werdender Stimme sagte sie dann: „Sie hielt sich nicht an die Abmachung… Sie wollte dich behalten… Da haben Papa und ich sie zu einer Aussprache in den Wald gelockt… und umgebracht… und die Leiche in einem vorher gegrabenen Loch versteckt… Dann haben wir sie als vermisst gemeldet… und sind hierhin in diese Stadt gezogen, mit neuem Arzt und allem, damit nichts auffiel…“

Wo habt ihr die Leiche vergraben?“, schrie Paula.

„Neben einer alten Eiche im Stadtwald… die Stelle heißt im Volksmund Blumental…“ Anita hörte auf zu sprechen und dämmerte in den Tod hinüber.

*

Vier Wochen lang hatte Paula mit sich gerungen, wie sie mit der furchtbaren Nachricht umgehen sollte. Schließlich hatte sie sich entschieden. Sie schrieb an die Polizei in ihrer Geburtsstadt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Paula Körner. Mein Vater Detlef Körner starb vor drei Jahren, meine (offizielle) Mutter Anita Körner vor vier Wochen (beide Sterbeurkunden beiliegend). Meine Mutter hat mir auf dem Sterbebett gestanden, dass sie und mein Vater vor rund zweiundzwanzig Jahren in Ihrer Stadt die Cousine meiner Mutter getötet haben. Sie war etwa so alt wie meine Mutter und hieß mit Vornamen Hanna (Nachname mir unbekannt). Sie wurde damals von meinen Eltern als vermisst gemeldet. In Wirklichkeit haben sie ihre Leiche neben einer alten Eiche im Stadtwald vergraben, an der Stelle, die im Volksmund Blumental heißt. Falls Sie ihre sterblichen Überreste finden, teilen Sie mir das bitte mit, damit ich sie würdig bestatten lasse.

Hanna hatte mich als Leihmutter ausgetragen und musste sterben, weil sie mich nicht meinem Vater und meiner offiziellen Mutter übergeben, sondern behalten wollte. Letztere wiederum wurden zu Mördern, weil sie mich haben wollten. Ich fühle mich allen dreien schicksalhaft verbunden.

Mit den besten Grüßen
Paula Körner

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Weißehex am 27.01.2022:
Kommentar gern gelesen.
Spannende Geschichte, aber auch traurig.

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