Kitty und der Asteroid (Eine Geschichte mit nicht-binären Pronomen!)

ANMERKUNG: Dies ist eine Fortsetzung der Geschichte „Die wahlentscheidende Katze“ (www.kurzgeschichten-stories.de/t_3486.aspx). Alle erwähnten Staaten, Menschen und Tiere sind fiktiv. Hinterland ist deutschsprachig, doch seine Variante des Deutschen enthält Entlehnungen aus nordeuropäischen Sprachen. Das dem Isländischen nachempfundene Namensrecht wurde bereits in der ersten Geschichte erwähnt. Eine weitere Entlehnung ist das Personalpronomen ‚hen‘ (vgl. schwedisch ‚hen‘, finnisch ‚hän‘). Es wird für non-binäre Personen – wie Sascha – verwendet. Nominativ und Akkusativ: hen, Genitiv: hens, Dativ: hem. Possessivpronomen: hens, mit Endungen wie im Standarddeutschen, z.B. „für hensen Hund, für hense Katze“. Siehe diesen Text!

Während Hinterlands Regierungskatze Kitty nach des Tages Mäusejagd am Fenster saß und ihren Feierabend genoss, las ihre Dosenöffnungsperson Sascha Dominique Ellenskind entsetzt die streng geheime Nachricht, die allen Regierungschefs der Welt zugegangen war. Sie stammte vom Präsidenten der Weltmacht Nummer Eins und besagte, dass seine Weltraumexperten einen riesigen Asteroiden entdeckt hatten.

„Er nähert sich mit rasender Geschwindigkeit der Erde und wird diese am 30. Mai 2022 in zwei Teile reißen, wodurch alles Leben ausgelöscht wird. Tückischerweise besteht er aus einem Material, das nur unsere höchstspezialisierten Experten im Voraus entdecken konnten. Alle anderen Lebewesen werden den Asteroiden erst bei seinem Eintritt in die Erdatmosphäre sehen. Um vorzeitige Unruhen zu vermeiden, bitte ich Sie dringendst, völliges Stillschweigen zu bewahren, bevor Sie 24 Stunden vor der Katastrophe die Bevölkerung informieren.“

Am 30. Mai 2022? Sascha dachte an das alte Lied: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang… Doch keiner weiß, in welchem Jahr…“ Jetzt wusste hen es also!

Hens Blick fiel auf Kitty. Tiefenentspannt blickte sie aus dem Fenster. Hatten Katzen nicht einen siebten Sinn? Spürten sie Gefahr nicht im Voraus?

Das streng geheime Schreiben des Präsidenten der Weltmacht Nummer Eins enthielt auch eine Abbildung des Asteroiden. Sascha erschien der Himmelskörper wie eine Art überdimensionale Kartoffel.

Jetzt kam Kitty herangeschlichen. Instinktiv wollte Sascha die Nachricht verstecken, da sie ja streng geheim war. Doch dann dachte hen, dass die Pflicht zur Geheimhaltung wohl nur gegenüber Menschen galt. „Guck mal, Kitty! Dieses Ding lässt im Mai die Welt untergehen.“

Die Regierungskatze betrachtete das Bild kurz und kehrte dann gleichmütig zu ihrem Aussichtsplatz auf der Fensterbank zurück.

Sascha war verwirrt. Hätte das kluge, sensible Tier nicht irgendeine Reaktion zeigen müssen? Hen dachte darüber nach, und plötzlich kam hem ein Gedanke, der hen die Sache sozusagen andersherum sehen ließ. Kitty war womöglich nicht trotz, sondern wegen ihrer Klugheit unbeeindruckt geblieben…

Hem fiel hens alter Freund und Amtskollege Peter ein, der Premierminister des Zwergstaates Hartenfels. Kurzentschlossen rief hen ihn an: „Peter, auch du hast doch bestimmt dieses Weltuntergangs-Schreiben erhalten. Und auch du hast doch eine Katze. War sie in letzter Zeit schon irgendwie unruhig wegen der nahenden Gefahr?“

Als Peter dies verneint hatte, fragte Sascha ihn: „Da Katzen so etwas doch merken – könnte es sein, dass das Ganze gar nicht stimmt? Dass der Präsident der Weltmacht Nummer Eins in Wirklichkeit die ganze Erde in Schrecken versetzen und destabilisieren will, um die Weltherrschaft an sich zu reißen?“

„Hm“, überlegte Peter, „da könntest du tatsächlich recht haben…“

Am nächsten Tag erhielten alle Regierungschefs der Welt, mit Ausnahme des Präsidenten der Weltmacht Nummer Eins, ein wie folgt beginnendes Schreiben:

Sehr geehrte Kollegen m/w/d,

wir, die Regierenden von Hartenfels und Hinterland, sind überzeugt, dass das „Asteroiden-Schreiben“ Betrug ist. Wäre wirklich eine Katastrophe derartigen Ausmaßes in Kürze zu erwarten, würden viele Tiere, vor allem Katzen, dies schon jetzt spüren und ein entsprechendes Verhalten zeigen. Unsere beiden Katzen dagegen sind völlig ruhig. Dies bringt uns zu der Überzeugung, dass der Absender des Schreibens in Wirklichkeit (…)

*

Für den 30. Mai 2022 war die Zerstörung des Planeten Erde durch einen riesigen Asteroiden angekündigt worden. Am 31. Mai 2022 saß Sascha in henser Dienstwohnung und streichelte die Katze Kitty, der hen ihr Lieblingsfutter serviert hatte.

„Kitty, du hast mich auf den richtigen Gedanken gebracht! Dadurch konnten Peter und ich unsere Amtskollegen weltweit warnen. Nicht vor irgendeinem Asteroiden, den es nicht gab, sondern vor dem Präsidenten der Weltmacht Nummer Eins. Auch dessen eigenem Staatsvolk wurden die Augen geöffnet. Jetzt sitzt er hinter Gittern, und sein Land hat einen neuen Regierungschef, der gut mit uns anderen zusammenarbeitet. Wozu Katzen und Kleinstaaten doch gut sein können…“

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