Veröffentlicht: 30.12.2021. Rubrik: Nachdenkliches
Das Problem mit der Wokeness
"Was Peter über Paul sagt, sagt oftmals mehr über Peter, als über Paul."
Gestern war eigentlich ein angenehmer Tag. Ich war arbeiten, habe in der Wohnung einige Vorbereitungen für Silvester vorgenommen, und habe mich am Abend mit einer Gruppe Freunden im Online Chat getroffen, um ein Spiel zu planen. Jeder brauchte einen Charakter, und für unsere Spielwelt sollte jeder einen Teil einer Stadt konzipieren. Der Abend lief vor sich hin, wir haben viel überlegt, gelacht und als es dann fertig war, haben wir noch über anderes diskutiert. Hauptsächlich Marvel Helden und der neue Matrix Film. Die Fiesta hörte auf um 22.30Uhr und ich legte mich schlafen, bereit den neuen Tag anzugehen.
Da wurde ich um exakt zwei Uhr vom Vibrieren meines Handys geweckt (ja, ich habe einen sehr leichten Schlaf) und folgende Nachricht erhielt ich vom Spielleiter, mit dem ich vor 4 Stunden noch so sehr über Marvel und alles andere freudig gesprochen habe:
"Hi,
Da du dich gerade eben zum wiederholten male Transfeindlich geäußert hast bitte ich dich hiermit die von mir geleiteten Spielgruppen zu verlassen, bzw. Habe ich dich zum Teil schon aus diesen entfernt. Ich hoffe du kannst das akzeptieren und wünsche dir einen angenehmen Rutsch ins kommende Jahr"
Mein Herzschlag ging vom Ruhepuls von 60 binnen einer Sekunde auf 180. Wie man der Nachricht entnehmen kann, gab es schon einmal, gut 6-7 Monate her, einen Disput darüber. Ich habe ein satirisches Bild bezüglich der Frauenolympiade in eine Gruppe geschickt, welche Teils gut und teils schlecht ankam. Tatsächlich war das schlechte ebenfalls von jenem Spielleiter. Er meinte, sowas ginge nicht, er möchte sich nicht damit identifizieren und finde jeglichen Humor darüber verachtenswert. Auf mein Angebot, darüber im ruhigen zu diskutieren, wozu zwei erwachsene Menschen in der Lage sein sollten, meinte er, dass darüber in seiner Spielgruppe nicht diskutiert wird, und ich solle meine und ich zitiere "eindeutig transphobe Haltung" woanders hinstecken.
Ich habe respektiert, dass nicht jeder Humor gleich ist und beschlossen solch provozierende Satire nicht mehr weiterzuleiten. Was der Unterschied zwischen damals und Gestern war? Ich hatte keinen blassen Schimmer was diesmal falsch gelaufen ist. Wie gesagt, für 4 Stunden haben wir über alles Mögliche geredet, gelacht, es gab kein einziges Anzeichen von Anspannung oder Missgunst. Stattdessen haben wir uns alle freundlich und mit Neujahrsgrüßen verabschiedet und nahezu 4 Stunden später werde ich hinterrücks, aus einzelner Entscheidung, aus drei Gruppen geworfen mit den Worten: Komm gut ins neue Jahr, du transphober Ar***. Da ich diesmal wirklich nicht wusste worum es geht, bat ich also um Aufklärung (ich möchte anmerken um 2 Uhr nachts, obwohl ich eigentlich den Schlaf für die Arbeit in 4 Stunden gut gebraucht hätte). Anscheinend ging es darum, dass ich erwähnt habe, dass die Wachowski Geschwister (Regisseure der Matrix Trilogie) ja mittlerweile beide eine Geschlechtsumwandlung durchzogen haben. Ich möchte nur anmerken: Das ist das was ich gesagt habe. Nicht mehr, nicht weniger. Purer Fakt. Zwei Brüder sind jetzt zwei Schwestern. Und diese Person sah es sofort als Angriff an (jene Person hat -meines Erachtens- keinen persönlichen Bezug zu dem Thema, aber er muss halt woke sein). Aber statt mich darauf anzusprechen, mir zu sagen, "Hey, das fand ich jetzt echt nicht cool, bitte lass das sein." beschließt er mich klimmheimlich im Schlaf aus seiner Existenz zu streichen. Mein erster Gedanke war, aus dem Bett zusteigen und eine halbe Stunde später bei ihm vor dem Haus zustehen und ihm die Tür einzutreten. Aber die Vernunft hat dann doch gesiegt. Also habe ich mich erklärt: Ich habe nur diesen Fakt erzählt, es war keine negative oder feindliche Intention gegenüber dem Thema. Aber es tut mir Leid, wenn du es falsch verstanden hast. Leider, sei es aus Stolz oder aus Dummheit, werde ich meine Bewortung nicht ändern können, denn alles was ich gesagt habe, war ein sachlicher Fakt.
Daraufhin gab er zu, dass bei ihm einfach generell ein Unwohlsein durch meine Anwesenheit verschuldet existiert. Gott weiß, ob das stimmt. Wenn man bedenkt, dass er mich die letzten Jahre immer angeschrieben hat um zusammen zu spielen, bei seinen Projekten zu helfen oder generell einfach zu reden. Wer weiß, vielleicht sind ja bei ihm um 2Uhr nachts wegen eines 10 Worte langen Satzes, den ich Stunden zuvor gesprochen habe die Augen geöffnet worden und er realisierte, dass er mich generell von Grund auf hasst. Ich habe ihn gefragt, ob er mich wirklich als transphob sieht, was er mit ja beantwortete. Also habe ich ihn gefragt, was genau mich so erscheinen lässt. Konnte er nicht beantworten. Auf die Frage, ob sich das Bild jemals ändern wird, meinte er nur nein, ich denke nicht. (ich war so kurz davor dem "ich denke nicht" Part zuzustimmen, aber wieder mal hat die Vernunft gewonnen) Also habe ich gesagt, da kann man dann leider von meiner Seite aus nichts machen, noch einen guten Rutsch gewünscht und mich wieder schlafen gelegt.
Wisst ihr, warum ich euch hiervon erzähle? Nun, da ich hier ein grundsätzliches Problem in der heutigen Gesellschaft sehe. Es wird direkt etwas angenommen, daraufhin wird gehetzt und der anderen Partei wird nicht mal die Chance gegeben sich zu artikulieren. Und dann ist die Welt wieder heile. Es ist eine Grundignoranz, verbunden mit einer Ideologie, um schnellstmöglich eine heile Welt zu schaffen.
Ich habe mich mein leben Lang mit Rassismus, Diversity etc. auseinandergesetzt. Unter anderem als Opfer (Asiatische Herkunft), aber auch als Beobachter (Soziale Arbeit Bachelor). Ich kann nicht den Finger drauf legen, warum dieser Spielleiter sich in der Position sieht, mich als Transphobiker darzustellen (was übrigens sehr wehtut, er hat wohl auch vergessen, dass ich ebenfalls Gefühle habe). Ich, welcher im Gesundheitsamt arbeitet, Soziale Arbeit studiert hat, unter Rassismus gelitten hat und dennoch sich nicht unterkriegen lässt sondern mehrere hundert Euro (im Rahmen meines Möglichen) monatlich in Organisationen steckt, welche gegen genau diese Themen vorgehen, anstatt auf Social Media einen Regenbogen oder Schwarzes Bild hochzuladen und zu sagen: Hey! Wir haben gerade Rassismus/Homophobie/Unterdrückung beendet!
Und dennoch werde ich, ohne Recht mich zu erklären, abgestempelt und aus einer Gruppierung, welche mir immer sehr viel Spaß und Freude gebracht hat, ausgeschlossen. Nur weil ein (schon quasi tyrannischer) Gruppenleiter das alleine entscheidet.
Wenn man sich mal WIRKLICH (und damit meine ich wochenlange Zeit investieren um sich durch die verschiedensten Formen durchzulesen, Leute einer Opfergruppe darüber befragt und sich vor allem selbst mal Gedanken machen) mit dem Thema Unterdrückung auseinandersetzt dann kommt die Frage aus: Was unterscheidet diese eine Person von den Personen, die er versucht aus seiner kleinen Gruppe zu vertreiben? Was unterscheidet Personen, welche sagen, dass sie gegen Nazis sind, genau von solchen, wenn sie an Schaufensterscheiben sprühen: "Geht hier nicht einkaufen, der ist ungeimpft!" Was unterscheidet denn den gerechten Anti-Unterdrückungs-Menschen von seinen Feinden, wenn er alle verhetzt und ausschließt, die nicht seiner Denkweise gleichen?
Ich will ehrlich sein: Das ich wegen Unstimmigkeiten eine Gruppe verlassen muss ist schade, aber vollkommen gerechtfertigt, WENN und das ein ein großes wenn, der Großteil der Gruppe ebenfalls dieser Meinung ist und man eine einvernehmliche Diskussion haben konnte. Von einer Person selbst herrisch rausgeschmissen und beleidigt zu werden. Das tut einfach nur weh, und weckt in den meisten Fällen dann einen Hass, welcher dann wiederum zu nur mehr Hass wird. Ich schreibe hier einerseits, um meinen Frust loszuwerden, andererseits aber auch, um die Leute bitte zum denken anzuregen. Um es mit den Worten von Afrika Brookes aus ihrem Schreiben: "Warum ich die Wokeness verlasse" zu sagen:
"Wenn es eine Sache gibt, vor der ich KEINE Angst habe, dann ist es ausgeschlossen zu werden.
Wenn Ausschluss bedeutet, dass ich leben kann in meiner Integrität als Mensch, welcher für sich selber denkt, DANN SCHLIEßT MICH SOFORT AUS! [Anm.: Es gibt keine gute Übersetzung für das Wort "canceln". Im Kontext der Wokeness bedeutet es, dass etwas gestrichen/gelöscht/ausgeschlossen wird, im Name der Sozialen Gerechtigkeit] [. . .] Wovor ich wahrhaftig Angst habe, ist in einer Welt zu existieren, welche mit zwingt mich einer Ideologie ohne Zweifel zu unterwerfen, andernfalls werde ich beschämt (oder unter Druck gesetzt mich selbst zu beschämen) and aus der Gesellschaft geschmissen."