Veröffentlicht: 04.06.2021. Rubrik: Persönliches
Die Angst vor dem anderen Ende der Geschichte
Es ist 4.14 Uhr und in 3 Stunden muss ich für die Arbeit aufstehen. Dennoch scheue ich mich davor einzuschlafen, denn ich würde wieder von ihr träumen. Ich dachte bis vor Kurzem, von ihr zu träumen wäre nicht mehr schlimm, denn welches Stück auch in meinem Kopf spielte, sie war nur anwesend und es machte mir nichts aus. Fast ein Jahr lang träumte ich nächtlich davon, wie wir wieder zusammen kommen. Und das Stück war stets gleich: Ich bringe ihr ihre Sachen vorbei, sie möchte mir ihr renoviertes Zimmer zeigen und mit einem Mal küsst sie mich. Als ich das Stück zum ersten Mal geträumt habe, habe ich sowohl im Traum, als auch beim Aufstehen geweint. Jedoch habe ich diese Träume nie verflucht. Denn obwohl man täglich morgens aufsteht, für ein paar Sekunden denkt, die Welt sei wieder in Ordnung, nur um jeden Morgen daran erinnert zu werden, dass man sie seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen hat, bleibt dennoch einem die bittersüße Erinnerung, welche mit einer Hoffnung verbunden ist, die man nicht erklären kann. Vielleicht ist es genau diese Hoffnung, die mir verbietet, die letzte Kiste mit ihren Sachen zu verschicken. Denn dann gäbe es keinen Grund mehr, sie anzuschreiben.
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Solche Träume haben also etwas bittersüßes. Obwohl die Wahrheit schmerzt, kann man wenigstens die paar Stunden im Traum glücklich mit ihr zusammen sein. Was hat sich also geändert?
Nun, die Handlung bleibt dieselbe, das Ende jedoch . . . Gestern bin ich im Traum wieder mals zu ihr mit ihren Sachen gefahren. Sie empfing mich wie immer herzlich, doch etwas war anders. Sie war nicht alleine, sondern ihre Freundinnen waren dabei. Jedoch schien alles heiter. Sie schien in Eile, also versuchte ich unbewusst den Traum zum typischen Ende zu leiten. Doch sie lehnte ab. Stattdessen erklärte sie mir, dass heute der Tag ihrer Hochzeit ist, und sie bald heiraten würde. Natürlich, freute ich mich für sie. Abermals entschuldigte sie sich, dass sie keine Zeit für mich hat, sie steigt in einen Wagen mit ihren Freundinnen und fahren ohne mich zu ihrer Hochzeit. Sie sagte nicht einmal wen sie heiraten würde. Als ich gestern aufwachte, waren die paar Sekunden keine, in denen ich dachte die Welt sei wieder in Ordnung. Doch welche Wahrheit war dann in meinem noch schläfrigen Kopf? Die Erkenntnis, dass sie für immer weg ist? Die Realisierung, dass man Jahre damit verbracht hat der einen Liebe hoffnungslos hinterherzulaufen, damit sie in ihrem Hochzeitswagen ohne einen wegfährt? Oder die Einsicht, dass ihr leben auch ohne diese kleine Kiste mit ihren Sachen weitergeht, während meines stehengeblieben scheint.
Ich weiß es nicht mehr. Aber um ehrlich zu sein: Ich möchte es nicht nochmal erfahren.