Veröffentlicht: 02.12.2021. Rubrik: Kürzestgeschichten
Ida und die neue Zeit
Die alte Ida konnte mit den meisten Entwicklungen der neuen Zeit absolut nichts anfangen. „Ehe für alle! Wenn ich das schon höre! Demnächst wird man wohl seinen Kanarienvogel heiraten dürfen. Und dann dieses ‚m/w/d‘ in den Stellenanzeigen. Wohin soll das bloß noch führen?!“
Ida selbst war unverheiratet und hatte keine Kinder, dafür aber zahlreiche Neffen und Nichten. Diese schüttelten zwar oft den Kopf über die Ansichten der Tante, doch da sie auch gute Eigenschaften hatte und vor allem recht vermögend war, hielten sie den Kontakt aufrecht.
Einmal im Monat traf Ida sich mit ihrer Freundin Christel, die sie seit der gemeinsamen Schulzeit kannte.
„Christel, du glaubst nicht, was ich gestern hören musste. Meine 15-jährige Großnichte Mia, die Tochter meiner Nichte Sarah, hat ihren Eltern gesagt, sie sei nicht-binär und wolle jetzt mit dem Unisex-Namen Eden angesprochen werden! Und was ich am schlimmsten finde: Die Eltern haben es akzeptiert!“
„Na ja“, meinte Christel achselzuckend, „ich nenne dich ja auch Ida.“
Ihre Freundin war fassungslos. „Wie meinst du das? Natürlich nennst du mich Ida, so heiße ich ja auch. Das ist ja auch ein normaler Frauenname. Kein Unisex-Name!“
„Doch. Anfang 2008 hat das Husumer Standesamt einem Elternpaar verboten, seine Tochter ‚Ida‘ zu nennen, weil der Name geschlechtsneutral sei!“