Veröffentlicht: 10.11.2021. Rubrik: Nachdenkliches
Wenn manchermann wüsste, wer manchermann wär, gäb manchermann manchemmann manchmal mehr Ehr'
Dieses Posting widme ich meinem Schulkameraden Andreas. Er kam im 8. Schuljahr neu ins unsere Klasse; und mein Verhältnis zu ihm würde ich heute als neutral bezeichnen. Wir waren keine Freunde, hatten aber auch keinen Streit.
Ich bin bis heute ein sehr sensibler Mensch, er aber schien das genaue Gegenteil zu sein: Laut, manchmal sogar etwas vorlaut und nicht immer auf seine Wortwahl bedacht.
Damals waren Clogs in Mode, jene schweren Treter mit ziemlichem Holzanteil. In unserer Klasse wurden sie eher von Mädchen getragen; seltener auch von Jungs. Andreas jedoch trug welche. "Irgendwie passen die zu ihm!" dachte ich.
Dann kam ein warmer Maitag; und da sah ich: Andreas trug seinen Treter barfuß. Auch viele unserer Mädchen machten das; aber er war der erste Junge, bei dem mir das auffiel. Obwohl er eine lange Hose trug, war dies deutlich erkennbar; nicht zuletzt auch deshalb, weil er auf seinem Platz manchmal herausschlüpfte und dann genüsslich die Zehen bewegte.
Von diesem Tag an war Andreas bsi zu den Sommerferien barfuß in seinen Schuhen; manchmal waren es auch noch leichtere Schlupfschuhe.
Einmal traf es sich dabei auch, dass wir beiden morgens die ersten im Klassenzimmer waren. Ich trug wegen der Wärmemeine Sandalen barfuß, und um doch mal ein Gspräch anzuknüpfen sagte ich zu ihm: "Nicht war, das ist herrlich, wenn man im Sommer die freien Füße spüren kann."
Ich erwartete, dass er mir zustimmen würde. Dies tat er auch; aber anders als ich es erwartet hatte. er schlüpfte aus seinem Schuh und zeigte mir sein Fußgelenk.
Ich erschrak, denn dieses hatte einen schlimmen, roten Ausschlag. Spuren zeigten, dass er daran auch sehr oft kratzte. Und dann sagte er traurig: "Ja, ich finde es auch schön, barfuß zu sein. Aber mein Hauptgrund dafür ist dieser Ausschlag an beiden Fußgelenken. Das juckt so fürchterlich, und nichts scheint da zu helfen. Ein bisschen besser ist es, wenn ich im Sommer nichts an die Füße ziehen muss, sondern barfuß bleiben kann."
Da erkannte ich, dass ich ihn am Anfang etwas falsch eingeschätzt hatte. Mochte er manchmal auch etwas grob rübergekommen sein, so war er doch auch ein Mensch mit Empfindungen und Gefühlen. Ich korrigierte meine Meinung über ihn, was sich auch auf unser Verhältnis ausgewirkt hat. Wir wurden weiterhin keine Freunde, aber es gelang mir, unverkrampfter mit ihm umzugehen. Wenn manchermann wüsste...
Er trug seine Schuhe (am Schluss Turnschuhe) übrigens barfuß bis weit in den September hinein; so lange, bis es dann wirklich nicht mehr ging.