Veröffentlicht: 04.11.2021. Rubrik: Persönliches
Warum ich so gerne barfuß laufe
"Heute ist es so warm; da kannst du gut barfuß laufen!" hatte mein Vater zu mir gesagt. Ich muss da so ungefähr drei Jahre alt gewesen sein.
"Nein, ich möchte nicht!" erwiderte ich.
Mein Vater konnte das gar nicht verstehen; und ich verstehe es heute auch nicht mehr. Aber der Reihe nach..."
Ich war so in der ersten Grundschulklasse, als ich auf einmal freiwillig barfuß in Sandalen zur Schule ging. Der Tag war so heiß, dass es nach der 4. Stunde hitzefrei gab. Nun zog ich wie selbstverständlich meine Kindersandälchen aus und sauste in den Garten.
Jetzt merkte ich erst einmal, was ich in der ganzen Zeit davor versäumt hatte. Der Untergrund des Gartenweges fühlte sich herrlich an; mal glatt, mal etwas rauher, mal piekste er sogar ein bisschen. Mal war er warm, dann kühl und nach ein paar weiteren Schritten fast schon heiß.
Man sagt, das Inuit ca. 20 verschiedene Wörter für "Schnee" haben. Ich hatte mindestens genauso viele für "barfuß auf Gartenwegen" und sogar fast noch mehr für "barfuß auf Rasen" sowie für "barfuß im Sand". Oder in kurzen Worten ausgedrückt: "barfußlaufen= Hochgefühl".
All dies entdeckte ich neu; und binnen kürzester Zeit war aus dem Barfußverweigerer ein ausgesprochener Barfußexperte geworden. Wenn ich auch auf dem Weg dorthin etwas Lehrgeld hatte zahlen müssen. Denn wie alle Kinder wollte ich zwischendurch auch einfach mal rennen. Und auf dem Weg an den Rosen entlang machte es dabei bei jedem Schritt "pitsch, pitsch, pitsch, pitsch."
Ich freute mich über dieses Geräusch; denn es zeigte mir: Es ist Sommer. Ich kann barfuß laufen, und das ist herrlich.
Einmal passierte es jedoch: Mit dem kleinen Zeh blieb ich an der Ecke der Einfassung des Rosenrabatts hängen. Der Zeh bog sich um; ich stürzte, und ein rasender Schmerz machte sich breit. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich sofort zu weinen begann.
Meine Mutter kam sofort zu mir. Sie nahm mich in den Arm, tröstete mich, wischte vorsichtig das Blut fort und verarztete mich mit einem Pflaster (in dieser Reihenfolge). Auch sagte sie mir, dass ich trotz allem beim Barfußlaufen etwas vorsichtiger sein solle. Dies setzte ich auch gleich in die Tat um; denn ein verpflasterter kleiner Zeh kann doch einen Barfußläufer nicht erschüttern. Einzig den Sandkasten mied ich an diesem Tag.
Abends lief es nach einem solchen Tag immer gleich ab: Vor dem Haus stand eine große Schüssel mit kaltem Wasser. Darin musste ich mir gründlich die Füße waschen bevor ich ins Haus durfte. Dann war das Wasser schwarz, und die Füße waren sauber.
Männliche Teenager scheinen es manchmal uncool zu finden, barfuß zu laufen. Zumindest war dies in meiner Schulzeit so. Ich war da so in jenen Jahren so ziemlich der Einzige, der sich den barfuß in Sandalen oder anderen Sommerschuhen gehenden Mädchen angeschlossen hatte.
Einmal, es war am ersten Sommerferientag, ich war 18, musste ich noch Gemeindeblätter austragen. Dies machte ich gleich am Vormittag bevor es zu heiß wurde. Nur mit kurzer Sporthose, T- Shirt ud Sandalen machte ich mich auf den Weg.
Beim letzten Haus, in dessen Briefkasten ich noch ein Blättchen einzuwerfem hatte, war gerade eine Gartenparty im Gange. Acht Leutchen aller Altersgruppen waren dabei mit allerlei Tätigkeiten beschäftigt. Kinder spielten im Sand, ein junger Mann machte Turnübungen am Reck, einige Frauen deckten den Mittagstisch usw. Und: Sie waren alle ausnahmslos barfuß: die spielenden Kinder, die Mamis, die gerade Servietten auf die Tische legten, die Papas und sogar der Opa.
Das sah alles so herrlich sommerlich unbeschwert aus; am liebsten hätte ich da mitgemacht. Aber ich war ja nicht eingeladen. So ging ich nach Hause, zog die Sandalen aus und ging in den Garten. Meine drei Jahre jüngere Schwester war ebenfalls da, und so spielten wir Federball; barfuß auf dem frisch gemähten Rasen. Meine andere Schwester spielte währenddessen -ebenfalls barfuß- in Sand. Später "half" ich ihr noch ein bisschen beim Kuchenbacken.
Später setzten wir uns einträchtig auf eine Decke und spielten Karten; drei Geschwister, die sich gegenseitig liebhaben, die die Liebe zum Barfußlaufen teilen und miteinander den Sommer genießen. Immer wieder bewegten wir genüsslich die freien, nicht eingeengten Füße.
Später kam mein Vater nach Hause. Er schien sich darüber zu freuen, uns so einträchtig beieinander zu sehen. Später hörten wir seine Schrittte auf der Terrasse. Das pitschende Geräusch, das dabei entstand, ließ vermuten, dass er inzwischen ebenfalls barfuß war. Auch er mochte das sehr gerne.
Abends wässerten er und ich noch mit dem Schlauch den Garten. Auch das liebte ich: Mit den Füßen durch die kleinen Pfützen zu stapfen, die dadurch auf den Gartenwegen und den erdigen Wegen zwischen den Beeten entstanden. Oder ich lief dann über den trockenen Teil des Weges und beobachtete dabei die Barfußspuren, die ich hinterließ. Es sind die Spuren von leichten Plattfüße; aber das bleibt unter uns...:-)
An solchen Abenden war das Füßewaschen in der Schüssel nicht nötig. Die Füße wurden vielmehr einfach mit dem Schlauch gesäubert.
Gefühlt war all dies ebenfalls eine Gartenparty gewesen.
Wichtig zu erwähnen ist vielleicht auch noch das Barfußoutfit, das ich in meiner Kindheit und Jugend trug. Wenn die Temperatur knapp über 20° ging, lief ich barfuß mit langer Hose oder krempelte die Jeans etwas auf. Wenn es um die 25° oder mehr hatte, trug ich zum T- Shirt Bermudas, Shorts oder eine kurze Sporthose. Und bei 30° oder mehr trug ich nichts anderes als die Badehose; auch, wenn ich gerade nicht zum Baden ging.
Wenn es abends kühler wurde, gab es eine lange Hose oder einen Pullover. Aber Schuhe oder gar Strümpfe zog ich deshalb noch lange keine an. Der Körper stellt sich da um. Und auch, wenn mal kühlere Sommertage kamen, blieb ich barfuß, weil ich so viel Wärme getankt hatte, dass es mir nicht gleich kalt wurde. So war ich im Sommer auch ein Strümpfesparer, weil ich von Anfang Mai bis weit in den September hinein erst gar keine anzog.
Auch heute noch laufe ich sehr gerne barfuß: Im Garten, auf Spaziergängen oder am Sandstrand. Im Winter mag ich mollig warme Stiefel. Aber den Sommer möchte ich barfuß spüren; weil das gesund ist, weil das unsagbar angenehm ist und weil es mir im Sommer in geschlossenen Schuhen und Strümpfen einfach zu warm ist.