Veröffentlicht: 05.10.2021. Rubrik: Unsortiert
Gendergerechte Hymnen
Vor einigen Jahren wollte eine Dame, deren Name hier nichts zur Sache tut, den Text der deutschen Nationalhymne gendergerecht machen. Sie schlug vor, brüderlich durch couragiert zu ersetzen und Vaterland durch Heimatland.
Daraus wurde zum Glück nichts. Ich sage „zum Glück“, obwohl auch ich eine Frau bin. Aber diese beiden Vorschläge fand ich, Verzeihung, dämlich (was meines Wissens nicht von ‚Dame‘ kommt, sondern wahrscheinlich von ‚dämmern‘).
Würde das Versmaß es erlauben, gefiele mir geschwisterlich durchaus besser als brüderlich. Aber dies klappt hier halt nicht mit der Silbenzahl. Und die von der Dame vorgeschlagene Alternative couragiert hätte gleich drei(!) Mängel gehabt. Erstens bedeutet das Wort etwas ganz anderes, zweitens wird es auf der dritten statt auf der ersten Silbe betont, und drittens wirkt ein Fremdwort in einer Nationalhymne auch heute noch fehl am Platze.
Heimatland statt Vaterland ginge allenfalls bei Kleinstaaten, die praktisch nur aus einer einzigen Region bestehen. Bei flächenmäßig größeren Staaten bezeichnet ‚Vaterland‘ den Staat, ‚Heimatland‘ dagegen eine Region innerhalb dieses Staates, in der man zu Hause ist. (Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel bei nationalen Minderheiten.) Warum soll man nicht ‚Vaterland‘ sagen, wenn man andererseits ‚Muttersprache‘ sagt? Ist dadurch nicht ein Gleichgewicht gegeben?
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Während Deutschland eine Änderung dieser Art bisher erspart/verwehrt (je nach Standpunkt) geblieben ist, wurde Österreichs Bundeshymne nach langen Diskussionen bereits 2011/2012 geschlechtergerecht gemacht. Im Gegensatz zu dem Vorschlag in Deutschland ließ man den Begriff ‚Vaterland‘ unangetastet, doch ‚Brüderchöre‘ wurden zu ‚Jubelchören‘, und statt Heimat bist du großer Söhne heißt es nun Heimat großer Töchter und Söhne. Also mit einer überzähligen Silbe.
Meine Meinung zu dieser Zeile: Wäre die Hymne von einem Macho geschrieben worden, der absichtlich nur die Söhne besungen hätte, hätte man die Worte in der Tat ändern müssen. Doch sie stammt aus der Feder einer Frau (Paula Preradovic). Hätte man da nicht davon ausgehen dürfen, dass sie die Töchter stillschweigend mitgemeint hat, und die Zeile so lassen können, weil es keine sprachlich gute Alternative gab? Auch bei „Alle Menschen werden Brüder“ oder „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ denkt sich ja jeder hinter dem maskulinen Begriff ein m/w/d. (Übrigens habe ich im Fernsehen mehrmals drauf geachtet: Die österreichischen Fußball-Frauen singen die neue Version, die männlichen Fußballer weiterhin die alte!)
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Gendergerecht gemacht wurden auch schon die Hymnen von Australien und Kanada. Wurden früher nur „Australiens Söhne“ zum Jubel aufgerufen, wird dies seit 1984 „allen Australiern“ zuteil (Australians all let us rejoice). Kanada ersetzte 2018 in der englischen Version seiner Hymne „in deinen Söhnen“ durch „in uns allen“. Die französische Version brauchte zum Glück nicht geändert zu werden, da diese in weiser Voraussicht von vornherein auf „Söhne“ verzichtet hatte und stattdessen Kanada als „Heimat unserer Vorfahren“ preist.
Jedoch will ich als Frau solche Dinge gar nicht ins Lächerliche ziehen. Auch mir gefällt ‚geschwisterlich‘ besser als ‚brüderlich‘, und die Änderungen in Australien und Kanada finde ich gelungen, da sie das dichterische Kunstwerk nicht beeinträchtigen. Was der Vorschlag zur deutschen Hymne und die Änderung der österreichischen Hymne meiner Meinung nach leider getan hätte beziehungsweise tat.
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Bei der Abwägung zwischen Gendergerechtigkeit und Poesie sollte man – dies meine ich – im Zweifelsfall der Poesie den Vorrang einräumen.
Die belgische Nationalhymne, die Brabançonne, wird in allen drei Landessprachen (Flämisch, Französisch, Deutsch) gesungen. Der Refrain besingt den König, das Gesetz und die Freiheit, und auf Französisch lautet dies in einem kunstvollen Geflecht aus Endreim und Alliteration: Le Roi, la Loi, la Liberté! Wenn die jetzige Kronprinzessin Elisabeth einmal den belgischen Thron besteigt, könnte es damit zu Ende sein, denn wenn statt des Königs die Königin genannt wird, hieße es „La Reine, la Loi, la Liberté“.
Ich habe soeben wie wild gegoogelt, aber den Artikel nicht mehr wiedergefunden, den ich einmal gelesen habe. Jedoch erinnere ich mich noch ziemlich gut an ihn. Er besagte – falls ich mich nicht doch irre –, dass die belgische Thronfolgerin nicht beabsichtigt, später die Hymne ändern zu lassen. Genau wegen der Dichtkunst in „Le Roi, la Loi, la Liberté” würde sie den Text in allen drei Sprachen beibehalten.
Die männliche Form bezöge Elisabeth dann vermutlich einfach auf sich selbst! Und warum auch nicht? Starke Frauen brauchen kein Gendern!