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geschrieben 2021 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 23.09.2021. Rubrik: Spannung


Kommissar Kuhlmann und das Kellertrauma

Vor rund zehn Jahren wurde Kommissar Kuhlmann, der schon damals ein berühmter Ermittler war, wieder einmal von einem Kollegen aus einer Nachbarstadt um Rat gefragt.

„Wir haben hier ein 14-jähriges Mädchen namens Mia, dem jemand vor sehr langer Zeit in einem Keller etwas angetan haben muss. Wenn sie das Wort ‚Keller‘ hört, fängt sie an zu zittern und zu weinen. Sie erinnert sich aber an nichts.“

„Wie ist das familiäre Umfeld?“, fragte Kuhlmann.

„Kompliziert. Die leiblichen Eltern waren nicht in der Lage, sich um sie zu kümmern. Sie war dann nacheinander bei drei Pflegefamilien. Die jetzige, also die dritte, ist in Ordnung. Sie will Mia helfen und dafür sorgen, dass der mutmaßliche Täter gefunden und zur Rechenschaft gezogen wird.“

„Und die beiden vorigen Familien? Könnte Mia dort missbraucht oder misshandelt worden sein?“

Der auswärtige Kollege seufzte. „Das haben wir natürlich überprüft, sind aber zu keinem Ergebnis gekommen. Beide Familien waren mit dem Pflegekind überfordert und haben es wieder abgegeben, aber Hinweise auf strafbare Handlungen gibt es nicht. Im Übrigen hatten die beiden ersten Familien gar keinen Keller. Nur die jetzige hat einen und bekam daher zum ersten Mal mit, wie traumatisiert Mia auf das Wort ‚Keller‘ reagiert. Ihre jetzige Familie hat deshalb nie gewagt, sie mit in den Keller zu nehmen oder sie gar allein dort hinzuschicken. Sie hat ihn noch nie betreten.“

„Ich habe eine Theorie…“, murmelte der Kommissar. „Könnte ich Mia und ihre Pflegefamilie einmal besuchen?“

*

Karen und Oliver Brenner, Mias jetzige Pflegeeltern, waren glücklich über Kommissar Kuhlmanns Besuch. Er hatte ihnen vorab seinen Plan erläutert. Mia dagegen war nicht eingeweiht. Die 14-Jährige, die den Kommissar für einen Bekannten ihrer Pflegeeltern hielt, machte auf den ersten Blick einen unauffälligen Eindruck.

Nach einigem Smalltalk sagte Kuhlmann: „Frau Brenner, Sie wollten mir doch im Untergeschoss etwas zeigen. Wollen wir jetzt eben hingehen?“
Karen stand auf und fragte Mia: „Gehst du mit nach unten?“ Atemlos warteten alle drei auf die Reaktion des Mädchens.

„Klar“, sagte Mia und fügte hinzu: „Ich glaube, da war ich noch nie!“

Unten erklärte Karen dem Kommissar eine neue Maschine, die ihn in Wirklichkeit nicht interessierte und nur als Vorwand diente. Beide beobachteten währenddessen aus den Augenwinkeln Mia. Sie guckte sich überall um und schien ein ganz normaler Teenager zu sein.

Wieder oben angekommen, verabschiedete Kuhlmann sich bald. So hatte er es mit Karen und Oliver ausgemacht. Erst später wollte er am Telefon alles mit ihnen besprechen. Ein glücklicher Zufall führte jedoch dazu, dass gerade in diesem Moment eine Freundin von Mia vorbeikam und die beiden in Mias Zimmer verschwanden. Somit konnte der Kommissar schon jetzt, einige Schritte vom Haus entfernt, den Pflegeeltern seine Meinung darlegen.

„Wie Sie beide gemerkt haben, war Mia völlig entspannt, weil wir das Wort ‚Keller‘ vermieden haben und stattdessen ‚Untergeschoss‘ oder ‚unten‘ sagten. Ihr Trauma hängt also höchstwahrscheinlich nicht mit einem Kellerraum zusammen. Sondern mit jemandem, der den Familiennamen Keller trägt!“

*

Die Polizei der Stadt, in der Mia und die Brenners lebten, arbeitete auf Hochtouren. Welcher Unhold namens Keller hatte der 14-Jährigen in ihrer frühen Kindheit etwas angetan? Von den beiden ersten Pflegeelternpaaren konnte es niemand gewesen sein, da sie andere Namen trugen. Natürlich hatten die Beamten sie dennoch über die neue Lage informiert.

Plötzlich erreichte die Polizei ein Anruf der ersten Pflegemutter. „Mir ist gerade etwas eingefallen! Der damalige Freund meiner Schwester hieß mit Nachnamen Keller. Er ließ sich von der kleinen Mia ‚Onkel Keller‘ nennen…“

Eine Woche später war der Täter gefasst. Er wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt und musste Mia ein hohes Schmerzensgeld zahlen. Kommissar Kuhlmann war stolz auf seine Idee, die zur Aufklärung des Falles geführt hatte. Hoffentlich, dachte er, kann die arme Mia das Trauma jetzt irgendwann überwinden, sodass das Wort ‚Keller‘ keine Panik mehr bei ihr auslöst.

*

Rund zehn Jahre später wurde Kuhlmann auf einer Veranstaltung von einer hübschen jungen Frau angesprochen. „Herr Kommissar? Sie werden sich wohl nicht mehr an mich erinnern. Ich bin Mia Brenner. Damals hieß ich noch anders –“

„Aber natürlich, Mia… äh, Frau Brenner!“ Kommissar Kuhlmann freute sich aufrichtig. „Ich erinnere mich noch sehr gut an Sie und Ihre Pflegeeltern – jetzt also wohl Ihre Adoptiveltern?“

„Ja, und demnächst bekomme ich schon wieder einen neuen Nachnamen. Mein Freund und ich wollen heiraten. Wir haben ein altes Häuschen gekauft und sanieren gerade den Keller. Ganz schön stressig, aber auch lustig…“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Marie am 30.09.2021:

Das Spiel mit dem Substantiv 'Keller' hat mir gut gefallen.




geschrieben von Christine Todsen am 30.09.2021:

Danke, Marie, das freut mich!

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