Veröffentlicht: 18.04.2021. Rubrik: Kinder und Jugend
Das Land Ka
Das Land Ka
Unterm Horizont existierte ein Land so schön, dass kaum ein Auge es je gesehen hat. Die Bäume waren so groß und prächtig, Blumen blühten fast das ganze Jahr. Die Pracht kam durch ein vielverzweigtes Bachsystem. Schmale Bäche durchzogen das ganze Land. So, dass alle Pflanzen und alle Tiere genug Wasser hatten. Dieses Land brachte Blüten in allen Farben und Formen hervor. Hier lugte eine gelbe Primel um die Ecke, dort küssten große Lilien rosafarbene Orchideen. Wo anderen Orts karger Waldboden vorherrschte, gediehen hier unter großen Buchen Buschwindröschen und Winteralpenveilchen. Es schien, als würden die Blumen nie verblühen. Kaum war die Zeit einer Blütenart zu Ende, gedieh eine weitere noch prächtiger und schöner. So wunderbar wie die Blumenvielfalt, so großartig und unterschiedlich waren die Tiere, die in diesem Land lebten. Es gab den schneeweißen Hasen, der schneller laufen konnte als der Schall und dessen Fell in der Sonne nur so strahlte. Es gab den Biber, der so geschickt Wälle und Brücken baute, dass es eine Freude war, dies anzusehen. Überdies gab es Vögel in allen Farben. Ihr Gesang war so lieblich anzuhören und ihr Federkleid reichte von orchideenfarbenem Violett über Türkisblau bis hin zu tiefem Grün. Dann gab es noch die großen Raubkatzen, die sich so gewandt drehen und wenden konnten. Der König dieses Paradieses war ein alter weiser Gepard. Was er sagte, war Gesetz. Tiefe Falten der Erfahrung hatten sich in sein Gesicht gefurcht. Zu seiner Rechten war eine kleine schwarze, entzückende Katze mit weißem Bauchfell. Zum Zeichen der tiefen Verbundenheit und Liebe hatte der König ihr eine rosafarbene Schleife geschenkt, die sie stets um den Hals trug. Beide waren flink und geschickt und labten sich im Paradies. Doch es gab ein Tier, von dem der König überzeugt war, dass es keine besonderen Fähigkeiten und Anreize bot. Ein brauner Bär, der nicht richtig sehen konnte. Er konnte nicht so schnell laufen und war bei weitem nicht so geschickt wie die vielen anderen Tiere. Und da der König davon überzeugt war, waren es alle anderen Tiere auch. Auch wenn Gäste aus benachbarten Reichen kamen, sprach der König von all seinen fabelhaften Tieren, nicht aber vom braunen Bären. Der König gab in seiner Großzügigkeit Feste, bei denen alle genug zu trinken und zu essen bekamen. Alle hatten Spaß. Alle rühmten die Großzügigkeit des Königs. Doch keiner achtete auf den braunen Bären. Wenn überhaupt, unterhielt man sich darüber, wie ungeschickt und schüchtern er doch sei. Der Bär hielt sich stets etwas am Rand und betrachtete alles etwas mit Abstand, ohne sich jedoch zu beschweren, denn er hatte ein Herz aus Gold. Etwas abseits entdeckte er eine Höhle. Diese machte er zu seinem Zuhause. In der Höhle gab es eine Wasserquelle. So wuchsen selbst hier Pflanzen, von denen der Bär sich ernähren konnte. Eine Wand der Höhle strahlte bunt, als käme die Sonne hier hinein. So hatte der Bär alles, was er brauchte. Er schmückte die Höhle aus mit allem, was er im Paradies auf seinen einsamen Streifzügen finden konnte. Auf diesen Streifzügen und in seiner Höhle dachte der Bär sich zu seiner eigenen Unterhaltung die schönsten Geschichten aus.
Doch das hübscheste aller Tiere wurde auf den Bären aufmerksam: Ein weißes Kätzchen. Sein Fell glänzte in der Sonne und es war fast hübscher als die Königin. Dieses Kätzchen näherte sich dem Bären und beschloss, mit ihm zusammen zu leben. Die anderen Tiere warnten das Kätzchen und fragten es, was es mit einem so ungeschickten Begleiter anfangen wollte, wo ihm doch das ganze Königreich zu Füßen liegen könnte. Tatsächlich hatten einige der flinksten und geschicktesten jungen Bewohner des Paradieses ein Auge auf das Kätzchen geworfen. Sie sagten, der Bär könne die Schönheit des Kätzchens doch gar nicht ausreichend bewundern. Doch das Kätzchen hielt an seinen Plänen fest, denn es erkannte sein Herz aus Gold. Der Bär führte das Kätzchen stolz in seine Höhle, und als sein Fell von der hellen Wand in der Höhle angestrahlt wurde, funkelte es schöner denn je. Jeden Abend erzählte der Bär dem Kätzchen eine seiner tiefsinnigen fantastischen Geschichten von Fabelwesen und es wurde sehr glücklich.
Doch wie es wohl jedem Paradies vorherbestimmt zu sein scheint, zogen auch in diesem Paradies dunkle Wolken auf. Eine Jahrhundertflut näherte sich unaufhaltsam dem Land unterm Horizont. Es begann zu regnen und regnete und regnete. Die wunderschönen bunten Wiesen, die kunstvollen Brücken, sogar die schicken Behausungen der Tiere wurden überschwemmt. Selbst der weise König wusste keinen Rat mehr. Da erschien der Bär und lud alle Tiere ein, schnell in seine Höhle zu kommen. In ihrer Ohnmacht folgten alle der Einladung. Aber was war das? Die unscheinbare Höhle entpuppte sich als kleines Paradies. Hier floss das Wasser geregelt, die Pflanzen, die hier wuchsen, waren nicht so vielseitig wie draußen, aber nahrhaft und schmackhaft. Als die vielen Tiere auf engem Raum am Abend begannen, sich zu langweilen und anfangen wollten, sich zu raufen, begann der Bär, ihnen von seinen Geschichten zu erzählen. Alle lauschten aufmerksam und waren wirklich erstaunt. Das hätte dem Bären keiner zugetraut. Und so erzählte der Bär jeden Abend farbenfrohe Geschichten in seiner Höhle. Die Tiere wurden alle satt und von der selbstleuchtenden Wand der Höhle angestrahlt. Doch am meisten leuchtete die kleine weiße Katze, die so stolz war auf ihren Bären. Manche Bewohner kamen zum Bären und sagten, wenn das alles hier vorbei ist, zeige ich dir, wie man Brücken baut und ich zeige dir, wie man schneller läuft. Der Bär schmiegte sich zufrieden an seine Gefährtin.